Aus dem steinernen Haus östlich der Kirche, das sich mithilfe der in der Brandschicht enthaltenen, glimmerhaltigen Vorspessartware in das 12. Jahrhundert datieren lässt, stammt das Fragment einer Steinplatte. Das nur 3,7 x 3,1 x 1,6 cm messende Stück kam im 14. Jahrhundert bei der Anlage eines gepflasterten Zufahrtsweges in der darunterliegenden Aufschüttung unmittelbar neben der Außenschale der Südwand des steinernen Hauses zu liegen. Der Stein besteht aus grünem Porphyr und war ursprünglich Teil einer größeren Platte, die zwei plan abgeschliffene Seiten besaß. Nur die längste Bruchkante, die leicht schräg verläuft, bildet noch eine ursprüngliche Außenseite. Durch sie konnte die Platte leichter in einen Rahmen versenkt werden. Alle anderen Abbruchkanten fielen späteren Gewaltbrüchen zum Opfer.

Dieser „Porfido verde antico“ ist ein grobporphyrischer Andesit mit zentimetergroßen Feldspat-Einsprenglingen. Joachim Lorenz aus Karlstein am Main konnte den Nachweis erbringen, dass der Stein aus der Umgebung von Krokees bei Sparta in der Landschaft Lakonien auf der südlichen Peloponnes stammt. Das auffallende, sehr dekorative und nur dort als erschlossenes Vorkommen abbaubare Gestein war in der gesamten römischen Antike hochgeschätzt und ist als Dekorationselement oder eigenständiges Kunstwerk im gesamten Mittelmeerraum, ja sogar bis nach Südengland verbreitet worden.

Verbreitung von Fragmenten aus Porfido verde antico in der karolingischen und salischen Epoche. Karte: Sabrina Bachmann, HeimbuchenthalDie Dicke des Stückes und die sorgfältige Bearbeitung der Oberflächen sprechen dafür, dass wir mit dem Steinfragment die Reste eines Tragaltars vor uns haben. Tragaltäre sind mobile Ausstattungsstücke einer Kirche und zählen zu den liturgischen Gerätschaften. Sie erleichterten den Tagesablauf eines Geistlichen erheblich, der beispielsweise im Tross eines Regenten unterwegs war. Er konnte jederzeit verfügbar bleiben und musste nicht ständig eine Kirche aufsuchen, um seinen religiösen Pflichten Genüge zu tun. Ob nun auf Mission in heidnischen Ländern, auf Heereszügen oder auch auf Seereisen: Stets schuf der Tragaltar den zur Messfeier benötigten liturgischen Raum. Tragaltäre gab es bereits im frühen Christentum. Im Hochmittelalter wiesen sie durchweg eine steinerne Oberseite auf. Sie waren zu keinem Zeitpunkt Massenprodukte. Jeder einzelne von ihnen ist ein Unikat, und zwar sowohl in seinen Abmessungen, in seinem Design, in Bezug auf die verwendeten Materialien als auch hinsichtlich seines ikonographischen Programms.

Das auf dem Gotthardsberg gefundene Stück gehörte zu einem kastenförmigen, romanischen Tragaltar. Die steinerne Platte an seiner Oberseite ersetzt in Miniaturform die ebenfalls steinerne Altarplatte in einer Kirche. Im Gegensatz zu den fest installierten Altären griff man bei den Miniausführungen auf hochwertige Werkstoffe zurück. Neben rotem und grünem Porphyr kamen Bergkristall, Marmor und Amethyst zum Einsatz. Kastenförmige Tragaltäre sind außerordentlich augenfällige und höchst repräsentative Elemente der Liturgie, ohne dabei jedoch den Rang der „vasa sacra“ zu beanspruchen, also jener Gefäße, die unmittelbar in Kontakt mit Leib und Blut Christi kamen. Die erwähnten Einsatzgebiete umreißen den Personenkreis, für den die Tragaltäre überhaupt in Frage kamen. Schon allein aufgrund seines hohen Materialwertes unterstützte das liturgische Gerät die gehobene Geistlichkeit, vor allem Erzbischöfe, Bischöfe und Äbte in der Ausübung ihres priesterlichen Amtes. Tragaltäre waren nicht nur wegen ihres Wertes, sondern auch wegen ihrer eingearbeiteten Reliquien fester Bestandteil von Kirchenschätzen.

Der Watterbacher Tragaltar, München, Bayerisches Nationalmuseum. Foto: Bruno Schneider, Gemünden/MainAuf der Suche nach dem zugehörigen Gehäuse tritt der Watterbacher Tragaltar ins Rampenlicht. Sein auf vergoldete, stark abgeriebene Kupferplatten graviertes Bildprogramm ist auf die Reichspolitik der Ottonen abgestimmt und verweist auf die kaiserlichen Werkstätten in Bamberg, die vor allem wegen ihren Buchmalereien hochgeschätzt waren. Seinen Namen trägt der Altar in Anlehnung an seinen Auffindungsort, der Ortschaft Watterbach südwestlich von Amorbach. Das kunsthistorisch einzigartige Zeugnis ottonischer Goldschmiedekunst, das heute im Bayerischen Nationalmuseum in München aufbewahrt wird, hat sicher auf Umwegen seinen Weg auf den Dachboden des Watterbacher Pfarrhauses gefunden. Die Frage nach dem Zusammenhang mit dem auf dem Gotthardsberg gefundenen Porphyrfragment stellt sich unweigerlich. Von Seiten der Historiker wurde der Watterbacher Altar bislang immer mit der Abtei in Amorbach in Verbindung gebracht.

Aus Sicht der Archäologen auffällig sind die als Einzelstücke und in Ihrer Ballung ungewöhnlich hochwertigen Metallarbeiten aus der Brandschicht des burgzeitlichen, steinernen Hauses östlich der Kirche. Diesem Inventar ist letztlich auch der Porphyr zuzuweisen. Aus dem ergrabenen Befund kann die These abgeleitet werden, dass bei der Brandkatastrophe in der Mitte des 12. Jahrhunderts eine sehr hochgestellte weltliche Persönlichkeit auf dem Gotthardsberg weilte, möglicherweise der König selbst oder jemand aus dem direkten Umfeld des Herrschers. Beim Brand, der sich während des Aufenthalts besagter Persönlichkeit ereignet habe könnte, könnte auch ein damals bereits etwa hundert Jahre alter Tragaltar zu Bruch gegangen sein. Ob es sich dabei um den Watterbacher Altar handelte, lässt sich nicht mehr eindeutig klären. Der einzige, für diesen Zeitraum in Frage kommende, urkundlich erwähnte Königsaufenthalt ist der Besuch König Konrad III. (reg. 1138 bis 1152), dem Onkel von Friedrich Barbarossa im Januar/Februar 1144, der „apud ammerbach“ eine für das Domkapitel von Bamberg bestimmte Urkunde zeichnete.


© Christine Reichert, Mainaschaff & Harald Rosmanitz, Partenstein 2017


Weiterführende Literatur

Joachim Lorenz, „Porfido verde antico“ von Krokees, Lakonien, Pelepones, Griechenland. Der originale Fundort zwischen Faros und Stefania, in: Joachim Lorenz (Hg.), Porphyre. Tagungsband der „Porphyr“-Tagung am 21. und 22. Oktober 2011 in Weilbach und Amorbach, Landkreis Miltenberg (Mitteilungen des naturwissenschaftlichen Museums Aschaffenburg Bd. 26), Aschaffenburg 2012, S. 24–41.

Joachim Lorenz, Martin Okrusch, Christine Reichert, Harald Rosmanitz, „Porfido verde antico“ im Odenwald. Der Tragaltar vom Gotthardsberg, in: Beiträge zur Archäologie in Unterfranken 7 (2011) (2011), S. 175–197.

Christine Reichert, Die Grabungen auf dem Gotthardsberg (Lkr. Miltenberg) 2010-2012. Die Funde des „Steinernen Hauses“ des 11. und 12. Jahrhunderts, in: Lutz Grunwald (Hg.), Den Töpfern auf der Spur. Orte der Keramikherstellung im Licht der neuesten Forschung (RGZM-Tagungen Bd. 21), Regensburg 2015, S. 181–186.

Christine Reichert, Harald Rosmanitz, Porphyr auf dem Gotthardsberg, in: Das Archäologische Jahr in Bayern 2010 (2011), S. 150–152.

Christine Reichert, Harald Rosmanitz, Der Gotthardsberg – Archäologie auf den Spuren von Macht und Herrschaft. Ein vielschichtiges Forschungsprojekt im Spessart und nördlichen Odenwald, in: Joachim Lorenz (Hg.), Porphyre. Tagungsband der „Porphyr“-Tagung am 21. und 22. Oktober 2011 in Weilbach und Amorbach, Landkreis Miltenberg (Mitteilungen des naturwissenschaftlichen Museums Aschaffenburg Bd. 26), Aschaffenburg 2012, S. 10–21.

Harald Rosmanitz, Christine Reichert, Der Gotthardsberg. Archäologie auf den Spuren von Macht und Herrschaft, in: Olaf Wagener (Hg.), Symbole der Macht? Aspekte mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Architektur (Beihefte zur Mediaevistik Bd. 17), Frankfurt a. M./Berlin/Bern/Bruxellews/New York/Oxford/Wien 2012, S. 315–333.

Harald Rosmanitz, Christine Reichert, Amorbach/Weilbach, Lkr. Miltenberg. Gotthardsberg. Maßnahmen-Nr. M-2011-1153-1_0. Archäologische Untersuchungen 2011 und 2012. (masch. Manuskript zur Vorlage beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege), Partenstein 2013.

Wilhelm Stürmer, Ein König besucht Amorbach. Zum Königsdiplom Konrads III., ausgestellt im Januar/Februar 1144 in Amorbach, in: Winfried Wackerfuß (Hg.), Beiträge zur Erforschung des Odenwaldes und seiner Randlandschaften VI, Breuberg-Neustadt 1997, S. 17–24.

Werner Trost, Heinrich II. und der Watterbacher Altar, in: Spessart (2010), S. 3–8.