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Der Gotthardsberg in alten Ansichten

Die archäologischen Grabungen auf dem Gotthardsberg zwischen Amorbach und Weilbach in den Jahren 2010 bis 2012 haben völlig neue, teils auch überraschende Erkenntnisse zur Bebauungsgeschichte des Berges geliefert. Die nun gewonnenen Erkenntnisse lassen sich den historischen, teilweise auch historisierenden bildlichen Darstellungen der Bebauung des Berges gegenüberzustellen. Anhand einiger Beispiele soll aufgezeigt werden, unter welchem Blickwinkel man in früheren Zeiten den Gotthardsberg abbildete. Die Zusammenstellung, die keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann, verzichtet dabei bewusst auf fotografische Darstellungen. Sie beinhaltet nur künstlerische Werke, denen immer auch eine mehr oder weniger große künstlerische Freiheit des Erstellenden zugrunde liegt. Fotografien könnten hingegen lediglich die recht gut dokumentierbare Zeit der Kirchenruine seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorstellen.

Burg Frankenberg

Die Klosterlegende berichtet, dass im Jahr 714 der auf dem Frankenberg ansässige Gaugraf Ruthard den hl. Pirmin zu sich gerufen habe, um durch ihn die Bewohner des Gaus christianisieren zu lassen. Pirmin sei gekommen und habe an der schon in heidnischer Zeit verehrten Quelle im Otterbachtal die ersten Christen getauft. Dort habe er einige Klosterzellen und eine kleine Kirche gebaut. Da die Anlage bald zu klein war, wurde das Kloster 734 an den endgültigen Platz verlegt[1].

Der chronologisch nächste Hinweis auf diese Burganlage findet sich erst im 12. Jahrhundert: 1138 weihte der Würzburger Bischof Embrico hier eine Kapelle auf den hl. Godehard von Hildesheim[2]. Hierdurch änderte sich in der Folgezeit die Benennung des Berges in „Gotthardsberg“. Aus der Tatsache, dass 30 Jahre später Kaiser Friedrich I. (Barbarossa) in der „Güldenen Freiheit“ vom „castrum Franckenberg“[3], also einer Burg, spricht, lässt sich schließen, dass die Godehardskapelle Bestandteil dieser Burganlage war. Der Burgherr war zu jener Zeit jedoch wohl Kraft von Schweinberg, der damalige Vogt der Amorbacher Abtei[4].

 Konrad Huber: Gaugraf Ruthard begrüßt den hl. Pirmin. Ölgemälde im ehemaligen Refektorium der Abtei Amorbach. Foto: Bernhard Springer, AmorbachEin eindrucksvolles Bild dieser Burg liefert uns Konrad Huber[5]. Der Maler wurde 1789 vom Kloster verpflichtet, um das Deckengemälde der neuen Bibliothek zu fertigen[6]. Im Jahr darauf zeichnete er den Riss für die Ausstattung des Refektoriums. 1792 schließlich erhielt er 660 fl. „für die 15 Stück Mahlerey in das neu Verzierte Konvents-Refectorium[7]“. Unter diesen 15 Gemälden befanden sich auch die vier noch heute im ehemaligen Refektorium hängenden Supraportebilder, die Szenen aus der Gründungsgeschichte der Abtei zeigen. Das erste aus dieser Reihe zeigt den Gaugrafen Ruthard, der den hl. Pirmin und seine Gefolgschaft begrüßt. Im Hintergrund ist der Frankenberg aus südlicher Richtung und auf dessen Kuppe die legendäre Burg als Wohnsitz des Gaugrafen zu sehen. Huber stellt sie als mächtigen romanischen Wehrbau dar. Außer der Ringmauer sind keine weiteren Annäherungshindernisse erkennbar. Allerdings ist das Gelände realitätsnah so steil dargestellt, dass Gräben, Hecken oder gar Zwingermauern kaum nötig erscheinen. Der Hang außerhalb der Mauern ist mit Gebüsch und niedrigen Bäumen bewachsen. In östlicher Richtung, wo sich offenbar der Zugang befindet, ist der Burg ein kleinerer Bau vorgelagert. Im Inneren der Anlage finden sich neben einem Rundturm mehrere verschachtelte, getreppt angeordnete Einzelbauten, die in einem doppeltürmigen Hauptgebäude gipfeln.

In der Entstehungszeit des Bildes gab es keinen konkreten Hinweis mehr auf das Aussehen der ehemaligen Burganlage. Auf dem Gotthardsberg stand lediglich die durch Blitzschlag ausgebrannte Kirchenruine. Huber hat diese Darstellung also völlig aus der Phantasie heraus geschaffen. Dennoch ist bemerkenswert, dass er die topographischen Verhältnisse recht genau wiedergibt und die erstaunlich mächtige Burganlage stimmig in das Gelände einpasst.

Die Klosteranlage

Nach der angeordneten Schleifung der Burg Frankenberg wurde auf dem der Kirche übereigneten Berg ein Frauenkloster errichtet, welches jedoch 1244 von Konrad von Dürn, dem Vogt der Abtei, aufgelöst wurde, um seinerseits dort eine Wehranlage zu errichten. Auf Intervention des Papstes musste er dieses Vorhaben aber stoppen und den Nonnenkonvent im Jahr darauf dort wieder ansiedeln. Die jüngsten archäologischen Funde bescheinigen diesem Kloster einen gewissen Wohlstand, der wohl auf einen blühenden Wirtschaftsbetrieb und gedeihlichen Weinanbau zurückzuführen ist. 1439 wurde das Kloster von der Abtei im Tal aufgehoben und der Besitz übernommen. Im Bauernkrieg 1525 wurde die gesamte Anlage zerstört. Erst rund ein Jahrhundert danach entschloss sich Abt Erhard Laiendecker, die Ruine der aus Stein gebauten Klosterkirche wieder zu errichten. Unter Leitung des Miltenberger Baumeisters Philipp Klebsattel wurde das Bauwerk 1631 vollendet.

Adolf Brockmann, Der Gotthardsberg 1631, Ölgemälde, Amorbach, Privatbesitz. Foto: Bernhard Springer, AmorbachEin kleines Ölgemälde[8] aus dem Jahr 1869 stellt laut rückseitiger Aufschrift den Gotthardsberg genau in jenem Jahr 1631 dar. Der Maler Adolf Brodmann[9] war Gerichtsschreiber und übernahm im Entstehungsjahr des Bildes die Stelle des Amorbacher Stadtschreibers. Er war also weder Historienmaler noch verfügte er über eine fundierte Geschichtsbildung. Dennoch hatte er klare Vorstellungen vom Aussehen der Anlage im 17. Jahrhundert – und eventuell sogar eine heute nicht mehr bekannte historische Bildvorlage.

Das Bild zeigt einen kleinen Pilgerzug, der aus östlicher Richtung (aus Richtung Boxbrunn kommend) den Hang empor wallt. Am rechten Bildrand ist im Tal die Kapelle Amorsbrunn zu erkennen. Das Ziel der Pilger ist die Klosteranlage auf der Bergkuppe, die von einer halbhohen Mauer umgeben ist. Der Hang ist auf Amorbacher Seite dicht bewaldet, im Bereich des Zugangsweges jedoch bis auf einzelne Bäume fast kahl. Im Inneren der Klosteranlage befinden sich neben der Kirche ein größeres Haus mit gotischem Treppengiebel sowie ein kleineres Nebengebäude. Auf dem Kirchendach ist etwa mittig ein Dachreiter mit spitzem Abschluss zu erkennen. In die Außenwand integriert ist ein runder, turmartiger Anbau. Die Ansicht der Kirche zeigt eigentlich den Blick aus Weilbacher Richtung. Insgesamt ist die Perspektive der Darstellung also sehr verzerrt. Warum Brodmann neben der Kirche in seiner Phantasiedarstellung des Jahres 1631 auch noch Nebengebäude malte, bleibt unklar. 13 Jahre vor der Entstehung des Bildes war die erste Amorbacher Stadtchronik[10] erschienen. Sie berichtet vom Wiederaufbau der Kirche, nicht aber von der Errichtung weiterer Bauwerke. Es verwundert, dass der Maler die Klostergebäude genau dort ansiedelt, wo sie anhand der archäologischen Grabungen tatsächlich nachweisbar sind. Ebenso erstaunt die dargestellte Szene an sich: Dass eine Wallfahrergruppe das Kloster auf dem Gotthardsberg zum Ziel hat, entbehrt jeglicher historischen Grundlage. Es existieren keinerlei Hinweise darauf, dass der Gotthardsberg jemals eine Wallfahrtsstätte war oder das dortige Kloster von Pilgern gezielt aufgesucht wurde.[11] Brodmanns Darstellung des Gotthardsklosters verfremdet also sowohl die topographischen Verhältnisse als auch die geschichtlichen Tatsachen. Aus der Phase des Historismus kommend, stellt sie jedoch ein interessantes Gedankenmodell jener Zeit und eine in manchen baulichen Details überraschend stimmige Abbildung der Anlage im Jahr 1631 dar.

Johann Salver, Titelblatt der Chronik des Klosters Amorbach von 1736, Kupferstich, Foto: Bernhard Springer, AmorbachEine weitere Darstellung, die den Gotthardsberg mit Klosteranlage zeigt, ist auf dem Titelblatt der 1736 erschienenen Klosterchronik zu finden. Der Würzburger Kupferstecher Johann Salver[12] arrangiert hierauf die Patrone und legendären Gründer und Förderer der Abtei um die damalige Klosterkirche herum. Dem himmlischen Bereich entgegengesetzt, finden sich im unteren Teil des Stiches Illustrationen der Kapelle Amorsbrunn, der Stadt Amorbach mit dem Gotthardsberg sowie des Nachbarortes Schneeberg.

Johann Salver, Titelblatt der Chronik des Klosters Amorbach von 1736 (Detail), Kupferstich, Foto: Bernhard Springer, AmorbachAuf dem Gotthardsberg sind hierbei zwei in unmittelbarer Nachbarschaft stehende wuchtige, turmartige Gebäude mit anscheinend quadratischem Grundriss zu erkennen. Beide haben jeweils nur zwei kleine Fenster und sind mit einem Zeltdach bedeckt. Da zur Entstehungszeit des Stiches lediglich die ausgebrannte Kirchenruine existierte, hat Salver hier wohl eine Phantasiedarstellung der noch intakten Klosteranlage geschaffen. Obwohl die Bebauung des Berges romanisch anmutet, ist ein Bezug zur Burganlage Ruthards unwahrscheinlich, denn dies stünde in zeitlichem Gegensatz zur ausgedehnten Klosteranlage und der städtischen Bebauung im Tal. Somit ist davon auszugehen, dass Salver ein illusorisches Bild des Gotthardsklosters geschaffen hat, das keinen Anspruch auf einen Bezug zu einer bestimmten Besiedlungsphase stellt.

Wiedererrichtete Kirche

Die älteste zeitgenössische Darstellung des Gotthardsberges stammt vom bekannten Kupferstecher Matthäus Merian[13]. In seinem Hauptwerk „Topographia Germaniae“ findet sich auch ein Stich[14], der die Stadt Amorbach im Jahr 1646 zeigt. Allerdings muss hierbei bedacht werden, dass Merian seine Ansichten nicht fotografisch genau ausarbeitete, sondern in seiner künstlerischen Freiheit viele Einzelheiten abänderte. So zeigt auch der Amorbacher Kupferstich eine verzerrte Perspektive und viele Einzelgebäude in unrealistischer Lage oder Größe.

Matthäus Merian, Ansicht von Amorbach aus der Topographia Germaniae, Kupferstich von Matthäus Merian. Foto: Bernhard Springer, AmorbachAuf dem Gotthardsberg ist lediglich eine kleine Kirche erkennbar, die auf der Amorbach zugewandten Seite zwei und auf der Westseite ein hohes schmales Fenster hat. Auf dem Dach sitzt etwa mittig ein Dachreiter, der durch seine hohe Spitze mit aufgesetztem Kreuz auffällt. Das Gelände um die Kapelle ist dicht bewaldet. Weitere Gebäude sind nicht erkennbar. Selbst die sich in östliche Richtung an das Kirchenschiff anschließende Apsis sowie die daran angebaute Sakristei sind nicht dargestellt.

Erst wenige Jahre vor der Anfertigung dieses Stichs wurde die wiedererrichtete Kirche fertiggestellt. Merian hatte das Gebäude also in intaktem Zustand – wenn auch von schwedischen Truppen geplündert – vor sich. Seine Darstellung ist jedoch so stark vereinfacht und stilisiert, dass sie nur einen vagen Hinweis auf das Erscheinungsbild des Berges in jener Zeit liefern kann.

 Eine weitere bildliche Darstellung der wiedererrichteten Kirche in jener Epoche liefert ein keramisches Relief[15] im Gepräge eines Votivbildes. Es stellt einen vor einem mächtigen Kruzifix knienden Kämpfer in Rüstung dar. Im Hintergrund ist der Gotthardsberg erkennbar. Die Aufschrift „Gott gieb Gnad“ auf einem wehenden Spruchband klärt jedoch, dass das Bild nicht aus einem Gelöbnis heraus, sondern als Bitte gedacht ist.

Rewlief eines renaissancezeitlichen Bildstocks, Keramik, Ende 16. Jahrhundert, heute Herzogin-von-Kent-Straße, Amorbach. Foto: Berhard Springer, Amorbach

Das in Form und Größe der Bildseite eines Häuschenbildstocks gearbeitete Werk verweist durch den dargestellten Mann in Rüstung stilistisch auf die Spätrenaissance. Vor dem Kreuz, vor dem er kniet, liegt ein Totenschädel. Der Gekreuzigte ist mit einem beiderseitig weit ausladenden und vom Wind verwirbelten Lendenschurz bekleidet[16].

Das Relief wurde nachträglich farbig kalt gefasst. Der Maler fügte der Anbetungsszene im der rechten Bildhälfte den Gotthardsberg hinzu. Er wird von Weilbach gesehen dargestellt. Außer der Klosterkirche sind keine weiteren Gebäude dargestellt, so dass es sich hier um das wiedererrichtete Gotteshaus handeln könnte. An der nordöstlichen Ecke ist deutlich der Treppenturm erkennbar. Er ist mit einem steilen, spitz zulaufenden Dach bedeckt, welchem ein hohes Kreuz aufgesetzt ist. Der bei Merian erkennbare Dachreiter wird nicht wiedergegeben.

Setzt man die Entstehung des Reliefs und die Ablage der Malereien als gleichzeitig voraus, so könnte hier eine realistische Momentaufnahme des Gotthardsberges aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges vorliegen. Man sollte dabei allerdings nicht außer Acht lassen, dass die Farbfassung erst viel später, möglicherweise erst im 19./20. Jahrhundert eine bereits bestehende Farbfassung ersetzte oder erst zu diesem Zeitpunkt angelegt wurde.

Die Kirchenruine

Nachdem die 1631 vollendete Kirche noch im Dreißigjährigen Krieg durch schwedische Soldaten geplündert worden war[17], wurde das Bauwerk durch Blitzeinschläge 1698 und 1714 zerstört[18] und ist seitdem eine Ruine. Auffallende bauliche Veränderungen wurden erst 1878 (Ausbau des Treppenturms zum Aussichtsturm) und 1956 (neues Dach) ausgeführt.

Christian Georg Schütz d. Ä., Das Maintal bei Miltenberg, Ölgemälde um 1780, Würzburg, Mainfränkisches Museum. Foto: Bernhard Springer, AmorbachEine interessante Darstellung der Ruine aus dem 18. Jahrhundert befindet sich im Besitz des Mainfränkischen Museums in Würzburg. Auf dem um 1780 entstandenen Gemälde „Das Maintal bei Miltenberg“ von Christian Georg Schütz d. Ä. ist das Bauwerk zwar nur schemenhaft erkennbar, ihm fällt in der Gesamtkomposition des Bildes jedoch eine bedeutende Rolle zu. Das stimmungsvolle Werk ist ein gutes Beispiel für die Entwicklung der Landschaftsmalerei jener Zeit, in der aus dem Idealisierenden heraus mehr und mehr die realistische Wiedergabe der Szenerie und Landschaft gesucht wurde. Einzelne Gebäude der Stadt Miltenberg sind recht exakt dargestellt und genau identifizierbar. Die umrahmenden Hügel sind hingegen in künstlerischer Freiheit so gruppiert, dass ein harmonisches Ensemble entsteht. Beherrschendes Motiv ist der Engelberg mit dem Kloster als höchstem Bildpunkt am linken Rand der Szene. Gleichsam als Gegenpol ist am rechten Bildrand – freilich im einige Kilometer entfernten Hintergrund – der Gotthardsberg mit der Klosterruine erkennbar.

Ein davor liegendes Dorf entspricht topografisch zwar eher Breitendiel, der auffallend hohe Kirchturm passt jedoch weniger zur 1724 dort fertiggestellten Josephs-Kapelle als zur seinerzeitigen Kirche von Weilbach, auch wenn diese ebenfalls keinen allzu mächtigen Kirchturm hatte. Dahinter wird in exponierter Lage – in der Gesamtkomposition des Bildes aber dem Engelberg klar untergeordnet – die Ruine auf dem Gotthardsberg gezeigt. Die beiden Klostergebäude bilden somit den ästhetischen Rahmen für die im Maintal liegende Stadt Miltenberg. Im Gegensatz zum Kloster Engelberg ist die Gotthardsruine nur undeutlich dargestellt; auffallend mächtig erscheint der turmartige Vorbau. Obgleich keine weiteren Details des Bauwerks zu erkennen sind, trifft das Bild hierdurch eine interessante Aussage. Dem Künstler war es anscheinend wichtig, die tatsächlich existierende Blickachse Engelberg-Gotthardsberg zu betonen. Die Bedeutung dieser Sichtverbindung war offenbar im 18. Jahrhundert noch eher bewusst als heute und spielte bei der Errichtung des Klosters Engelberg sicherlich eine mitentscheidende Rolle.

Franz Leinecker, Die Gotthardsruine. Zeichnung von 1846. Foto: Bernhard Springer, AmorbachDie wohl ältesten Darstellungen der Kirchenruine, auf denen Details erkennbar sind, stammen aus dem Jahr 1846 (Zeichnung von Franz Leinecker[19]) sowie aus dem Jahr 1855 vom Amorbacher Maler Ludwig Müller[20].

Leineckers Zeichnung zeigt die ruinöse Kirche aus östlicher Richtung. Mauerwerk und Giebel der Apsis wirken einsturzgefährdet. Ein Maßwerk ist lediglich im Fenster der Sakristei erkennbar. Das wuchernde Buschwerk lässt die gesamte Anlage etwas verwildert erscheinen.

Ludwig Müller, Die Gotthardsruine. Zeichnung von 1855. Foto: Bernhard Springer, AmorbachMüllers Werk entstammt einer Serie von Tuschezeichnungen, die offenbar als Illustration von Debons Stadtchronik gedacht waren[21]; diese enthält unter anderem diese Ansicht der Ruine. Auch wenn die Zeichnung im Vergleich zu den sehr akribisch ausgeführten Gegenstücken eher skizzenhaft und stellenweise etwas unbeholfen wirkt, lässt sie etliche Details des Bauwerks erkennen. In den Fenstern von Langhaus und Apsis ist das vollständige Maßwerk gut sichtbar. Die westlichen und östlichen Giebelmauern stehen offenbar noch fast unversehrt. Fehlstellen zeigen hingegen die Aufmauerung der Seitenschiffwand und – wegen der geringeren Höhe – der mittlere Giebel über dem Chorbogen. Allerdings widerspricht letzteres anderen Abbildungen dieser Zeit. So stellt Ludwig Müller auf einem Ölgemälde von 1878[22] und ebenso auf anderen Grafiken den Mittelgiebel der Ruine höher dar als den Giebel der Apsis (gleiche Höhe wie der Westgiebel). Abgesehen von einigen zeichnerischen Ungenauigkeiten geben die Bilder von Leinecker und Müller den Zustand wieder, den bald darauf auch die ersten Fotografien belegen.

 Die letzte hier vorgestellte Ansicht stammt aus den frühen 1880er-Jahren. Der 1883 veröffentlichte Stich[23] zeigt einen Blick vom Beuchener Berg auf Amorbach mit dem Gotthardsberg im Hintergrund. Auffallend ist hierbei weniger die bauliche Situation, sondern vielmehr die überproportional große Fahne, die vom Turm der Ruine weht. Diese wollte der Künstler anscheinend besonders betonen.

Zu außergewöhnlichen Anlässen wurde die Gotthardsruine tatsächlich beflaggt. So weist am 16.8.1843 der Stadtmagistrat von Miltenberg in einem Schreiben an den Amorbacher Magistrat darauf hin, dass Seine Majestät der König von Bayern bei seinem bevorstehenden Besuch das Mittagsmahl in Breitendiel mit Blick auf den Gotthardsberg einnimmt, „wesfall man das ergebenste Ersuchen stellt, besagten intereßanten Punkt mit einer Fahne in der National Farbe geeignet zu zieren.[24] Der Amorbacher Stadtmagistrat erwidert daraufhin, dass bereits allgemeine Übereinstimmung dahingehend bestünde, dass der Gotthardsberg entsprechend zu dekorieren sei.

Die vorgestellten Beispiele liefern uns also Anhaltspunkte und Hinweise zu allen Bebauungsphasen des Amorbacher Gotthardsberges. Allerdings zeigen sie meist kein exaktes Bild der früheren Nutzung des Hügels, sondern offenbaren alle – mit der künstlerischen Freiheit gerechtfertigt – irgendwelche Unwägbarkeiten, Ungenauigkeiten oder zeigen Gebäudedetails, die historisch nicht belegbar sind.

Dennoch ist es bemerkenswert, dass sich immer wieder Menschen mit dem Gotthardsberg so intensiv auseinandergesetzt und sich in unterschiedlichster Weise ein Bild von den dortigen Gebäuden gemacht haben. Dies zeigt einmal mehr, dass dieser Berg seit Jahrhunderten die Menschen fasziniert, interessiert und begeistert. Das Geheimnisvolle, Mystische und Sagenhafte, das von diesem Areal ausgeht, wird auch durch die Erkenntnisse der archäologischen Befunde nicht verloren gehen.


Bernhard Springer, Amorbach 2017


Weiterführende Literatur:

Andreas Debon, Historisch-topographische Skizze der Stadt und des vormaligen Klosters Amorbach, Würzburg 1856.

Engelhard Eisentraut, Die Amorbacher Kirchen, Amorbach 1935.

Helmut Flachenecker, Der Gotthardsberg im Kraftfeld regionaler Interessen. Burg – Frauenkloster – Propstei, in: Joachim Lorenz (Hg.), Porphyre. Tagungsband der „Porphyr“-Tagung am 21. und 22. Oktober 2011 in Weilbach und Amorbach, Landkreis Miltenberg (Mitteilungen des naturwissenschaftlichen Museums Aschaffenburg Bd. 26), Aschaffenburg 2012, S. 54–61.

Leonhard Graber, Weilbach in der Geschichte seiner Umgebung. Ein Beitrag zur unterfränkischen Ortsgeschichte, Amorbach 1915.

Ignatius Gropp, Aetas Mille Annorum Antiquissimi Et Regalis Monasterii B. M. V. In Amorbach Ord. S. Bened. In Archi-dioecesi Mogunt. Gloria Et Honore Coronata, Atque Historica Methodo Adumbrata; Cum Idem Sub Auspiciis Dei Ter Opt. Max. Sub Patrocinio Sanctissimae Dei Genitricis Et Virginis Mariae, Ss. Patriarchae Benediciti, Simplicii, Faustini Et Beatricis MM. Ex Laudabilissima Ordinatione Reverendissimi, Perillustris, Amplissimi Et Perquam Gratiosi Domini, DN. Engelberti Ejusdem Monasterii Abbatis Dignissimi, Post Elapsos A Fundatione Mille Annos Festivum Jubilaeum Octiduana Solemnitate A Die XII. Usque Ad XIX. Septembr. Anno MDCCXXXIV Celebrabat, Ex Ejusdem Monasterii Chartis Et Documentis (Quorum Hic Centum Proferuntur) Aliisque Probatis Authoribus Eruta Et Probata Opera Et Studio P. Ignatii Gropp, Ord. S. Bened. In Monstaterio Ad S. Stephan. Wirceburgi Professi et Bibliothecarii, SS. Theolog. Licent, Frankfurt am Main 1736.

Wolfgang Hartmann, Die Zerstörung der Burg Frankenberg bei Amorbach durch Kaiser Friedrich Barbarossa, in: Mainfränkisches Jahrbuch (1993), S. 76–91.

Friedrich Johann Hildenbrand, Die Gotthard-Ruine bei Amorbach in Franken, Amorbach 1892.

Walter Hotz, Amorbacher Cicerone. Kunstgeschichtlicher Wegweiser durch Abtei und Stadt mit Amorsbrunn, Gotthard, Wildenberg, Waldleiningen und den zur ehemaligen Abtei gehörenden Pfarrdörfern, Amorbach 41959.

Jürgen Julier, Andreas Dittmanns Innenräume im Kloster Amorbach, in: Oswald, Friedrich, Störmer, Wilhelm (Hg.), Die Abtei Amorbach im Odenwald. Neue Beiträge zur Geschichte und Kultur des Klosters und seines Herrschaftsgebietes, Sigmaringen 1984, S. 347–382.

Richard Krebs, Amorbach im Odenwald. Ein Heimatbuch, Amorbach 21983.

Franz Landmann, Bernhard Springer, Ignatius Gropp: Historia Monasterii Amorbacensis. Die Chronik des Klosters Amorbach aus dem Jahr 1736, Amorbach 2014.

Felix Mader, Hans Karlinger (Hg.), Die Kunstdenkmäler von Unterfranken & Aschaffenburg. XVIII Bezirksamt Miltenberg, München 19171981.

Christine Reichert, Harald Rosmanitz, Der Gotthardsberg – Archäologie auf den Spuren von Macht und Herrschaft. Ein vielschichtiges Forschungsprojekt im Spessart und nördlichen Odenwald, in: Joachim Lorenz (Hg.), Porphyre. Tagungsband der „Porphyr“-Tagung am 21. und 22. Oktober 2011 in Weilbach und Amorbach, Landkreis Miltenberg (Mitteilungen des naturwissenschaftlichen Museums Aschaffenburg Bd. 26), Aschaffenburg 2012, S. 10–21.

Harald Rosmanitz, Christine Reichert, Der Gotthardsberg. Archäologie auf den Spuren von Macht und Herrschaft, in: Olaf Wagener (Hg.), Symbole der Macht? Aspekte mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Architektur (Beihefte zur Mediaevistik Bd. 17), Frankfurt a. M./Berlin/Bern/Bruxellews/New York/Oxford/Wien 2012, S. 315–333.

Harald Rosmanitz, Christine Reichert, Amorbach/Weilbach, Lkr. Miltenberg. Gotthardsberg. Maßnahmen-Nr. M-2011-1153-1_0. Archäologische Untersuchungen 2011 und 2012. (masch. Manuskript zur Vorlage beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege), Partenstein 2013.

Norbert Schmitt, Amorsbrunn und Gotthard. Zeugnisse christlichen Lebens im Odenwald, Amorbach 2011.

Ute Schneider, Catalog zu Ausstellungen im Museum für Kunsthandwerk Franckfurt am Mayn (15.9. – 7.11.1993) und im Kunstmuseum Basel (28.11.1993-13.2.1994) als Unsterblich Ehren-Gedächtnis zum 400. Geburtstag des hochberühmten Delineatoris (Zeichners), Incisoris (Stechers) et Editoris (Verlegers) Matthaeus Merian des Älteren. Worin eygentlich beschrieben und abgebildet wird sein gantzes Leben, seine Handzeichnungen, die Wercke zur Topographia, die Icones biblicae, Frankfurt am Main 1993.

Bernhard Springer, Der Gotthardsberg in alten Ansichten, Amorbach 2011.


Anmerkungen:

[1] Ignatius Gropp, Aetas Mille Annorum Antiquissimi Et Regalis Monasterii B. M. V. In Amorbach Ord. S. Bened. In Archi-dioecesi Mogunt. Gloria Et Honore Coronata, Atque Historica Methodo Adumbrata; Cum Idem Sub Auspiciis Dei Ter Opt. Max. Sub Patrocinio Sanctissimae Dei Genitricis Et Virginis Mariae, Ss. Patriarchae Benediciti, Simplicii, Faustini Et Beatricis MM. Ex Laudabilissima Ordinatione Reverendissimi, Perillustris, Amplissimi Et Perquam Gratiosi Domini, DN. Engelberti Ejusdem Monasterii Abbatis Dignissimi, Post Elapsos A Fundatione Mille Annos Festivum Jubilaeum Octiduana Solemnitate A Die XII. Usque Ad XIX. Septembr. Anno MDCCXXXIV Celebrabat, Ex Ejusdem Monasterii Chartis Et Documentis (Quorum Hic Centum Proferuntur) Aliisque Probatis Authoribus Eruta Et Probata Opera Et Studio P. Ignatii Gropp, Ord. S. Bened. In Monstaterio Ad S. Stephan. Wirceburgi Professi et Bibliothecarii, SS. Theolog. Licent, Frankfurt am Main 1736., S. 6 ff; Franz Landmann, Bernhard Springer, Ignatius Gropp: Historia Monasterii Amorbacensis. Die Chronik des Klosters Amorbach aus dem Jahr 1736, Amorbach 2014., S. 52 ff

[2] Gropp (wie Anm. 1)., S. 127; Landmann, Springer (wie Anm. 1)., S. 292

[3] „Aliud quoque castrum, Franckenberg dictum, quod adiacenti Abbatiae Ammerbach destructionem minatur, et per subreptionem inimicorum Ecclesiae Würtzburgensi poterat inferri periculum similiter destruximus et montem nullo tempore reaedificandum Ecclesiae tradidimus (…)“. (zit. Friedrich Johann Hildenbrand, Die Gotthard-Ruine bei Amorbach in Franken, Amorbach 1892.)

[4] nach Wolfgang Hartmann, Die Zerstörung der Burg Frankenberg bei Amorbach durch Kaiser Friedrich Barbarossa, in: Mainfränkisches Jahrbuch (1993), S. 76–91.

[5] Konrad Huber, geb. 24. November 1752 in Altdorf bei Weingarten; gest. 17. Mai 1830 in Weißenhorn.

[6] Jürgen Julier, Andreas Dittmanns Innenräume im Kloster Amorbach, in: Oswald, Friedrich, Störmer, Wilhelm (Hg.), Die Abtei Amorbach im Odenwald. Neue Beiträge zur Geschichte und Kultur des Klosters und seines Herrschaftsgebietes, Sigmaringen 1984, S. 347–382., S. 366

[7] FLA: Klostermanual 1792(nach Julier (wie Anm. 6)., S. 360)

[8] Privatbesitz von Familie Volker Hauck, Amorbach

[9] geboren: 5.7.1833 in Walldürn; gestorben wohl als Eisenbahn-Expeditor in München (FB Nr. 0509)

[10] Andreas Debon, Historisch-topographische Skizze der Stadt und des vormaligen Klosters Amorbach, Würzburg 1856.

[11] Anm. Rosmanitz: Allerdings würde das hervorragend in den Zeitkontext passen. Gerade in Franken wurden im Zuge der Gegenreformation zahlreiche Sakrale Orte durch den Aufbau von und den Ausbau zu Wallfahrtsstätten erheblich aufgewertet. Um 1600 ist auch auf dem Gotthardsberg eine rege Bautätigkeit zu verzeichnen, die nicht nur die Kirche sondern auch das im Bauernkrieg vollständig zerstörte, östlich davon liegende Prioratsgebäude betraf (Harald Rosmanitz, Christine Reichert, Amorbach/Weilbach, Lkr. Miltenberg. Gotthardsberg. Maßnahmen-Nr. M-2011-1153-1_0. Archäologische Untersuchungen 2011 und 2012. (masch. Manuskript zur Vorlage beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege), Partenstein 2013., S. 53-54). Der Reaktivierung könne – mit aller zu Gebote stehender Vorsicht – auf eine entsprechende Funktion abgezielt haben, wie sie beispielsweise für den in Sichtweite liegenden Amorsbrunn bereits für das 15. Jahrhundert nachgewiesen ist.

[12] geboren 1670; gestorben: 1830

[13]geboren: 22. September 1593 in Basel; gestorben: 19. Juni 1650 in Langenschwalbach (Ute Schneider, Catalog zu Ausstellungen im Museum für Kunsthandwerk Franckfurt am Mayn (15.9. – 7.11.1993) und im Kunstmuseum Basel (28.11.1993-13.2.1994) als Unsterblich Ehren-Gedächtnis zum 400. Geburtstag des hochberühmten Delineatoris (Zeichners), Incisoris (Stechers) et Editoris (Verlegers) Matthaeus Merian des Älteren. Worin eygentlich beschrieben und abgebildet wird sein gantzes Leben, seine Handzeichnungen, die Wercke zur Topographia, die Icones biblicae, Frankfurt am Main 1993.)

[14] Original: Archiv des Verfassers

[15] Das ca. 40 x 30 cm große Bild befand sich bis 1970 an einem Gebäude in der Pfarrgasse und ist nun in der Herzogin-von-Kent-Straße in eine Hauswand eingelassen.

[16] Eine ikonografisch sehr ähnliche Darstellung findet sich auf dem Amorbacher Bildstock von 1575, der heute nahe der Kapelle Amorsbrunn aufgerichtet ist; ebenso auf jenem Bildstock von 1587, der heute in Boxbrunn auf freiem Feld steht. Er stammt eigentlich auch aus Amorbach und zeigt neben dem Kreuz auch zwei kniende Stifterfiguren. Eine Darstellung des Gotthardsberges fehlt auf den Bildstöcken jedoch.

[17] Hildenbrand (wie Anm. 3)., S. 7

[18] Hildenbrand (wie Anm. 3)., S. 7

[19] Eine Reproduktion befindet sich im Stadtarchiv Amorbach. Demnach befindet sich das Original im Mainfränkischen Museum Würzburg; die Bildrechte bei Hermann Emig.

[20] geboren: 30.4.1810 in Amorbach; gestorben: 9.3.1892 in Aschaffenburg; studierte 1824-31 an der Kunstakademie München; 1862-81 Bürgermeister von Amorbach

[21] Im Archiv des Verfassers befindet sich ein Probedruck der Debonschen Chronik, in dem auf die im Anhang beigebundenen Originalzeichnungen Müllers im Text verwiesen wird.

[22] Privatbesitz des Verfassers

[23] Ohne Nennung des Künstler abgedruckt in Hildenbrand (wie Anm. 3).

[24] Stadtarchiv Amorbach A 2 (Empfang des Königs, 1843)