auch als PDF verfügbar


Luftbild vom Gotthardsberg, von Süden aus gesehenDie archäologischen Ausgrabungen auf dem Gotthardsberg waren ein für das Archäologische Spessartprojekt in seiner Dimension bis dato einzigartiges Projekt. Herzstück bildete die Zusammenarbeit von archäologischen Fachkräften mit insgesamt bis zu dreihundert engagierten Ehrenamtlichen, die während drei Kampagnen 10.000 Arbeitsstunden auf dem Gotthardsberg verbrachten. Neben dem archäologischen Arbeiten, bei dem es darum ging, Neues zu ergraben und den Vorgaben der Denkmalschutzbehörden entsprechend zu dokumentieren, waren auch andere Faktoren wichtig. Die Ergebnisse wurden zeitnah vor Ort der Öffentlichkeit präsentiert, angefangen von Führungen von Kindergartenkindern, Schulklassen oder Erwachsenengruppen als auch über Führungen anlässlich der Gotthardsbergfeste. Eine Vertiefung erfolgte durch die Einbindung von Fachstudenten aus den Universitäten Cottbus, Bamberg und Würzburg. Die Ausgrabungen auf dem Gotthardsberg waren vielschichtig und verdienen zu Recht das Prädikat „zivilgesellschaftliches Projekt“. Nur  auf diesem Weg war es möglich, den zahlreichen Facetten, die für die Aufbereitung und dauerhafte Präsentation notwendig wurden, hinlänglich Rechnung zu tragen.

Gesamtplan der Grabungen auf dem Gotthardsberg von 2010 bis 2012Die archäologischen Ausgrabungen auf dem Gotthardsberg brachten neue, weitreichende Erkenntnisse über die Besiedelungs- und Bebauungsgeschichte des Bodendenkmals. In drei Grabungskampagnen in den Jahren 2010 bis 2012 wurden 22 Schnitte angelegt, in denen über 1000 Einzelbefunde dokumentiert werden konnten.

In der ersten Grabung 2010 beschränkten wir uns auf acht Schnitte. Sie verteilten sich locker über das gesamte Areal rund um die Kirchenruine. Nur südlich der Kirche wurden keine Sondagen abgetieft.1 Die Auswahl der Schnittbereiche wurde anhand von noch obertägig erkennbaren Merkmalen wie einer freiliegenden Gewölbekappe getroffen. Auch die Ergebnisse eines Bodenradars fanden Eingang in die Planungen. Die vielversprechenden Erkenntnisse, die an den Befunden und Funden der ersten Kampagne ablesbar waren, ermutigten uns, getragen von der Begeisterung der Ehrenamtlichen dazu, das Projekt im nächsten Jahr in einer zweiten, stark ausgeweiteten Kampagne fortzuführen. In den neu anzulegenden Schnitten sollten offene Fragestellungen beantwortet und Ergebnisse konkretisiert werden. Im Fokus stand dabeWestlich der Kirche befand sich ursprünglich die Bebauung des Klostersi eine große, zusammenhängende Fläche östlich der Kirche. In ihr zeigte sich die höchste Befunddichte auf dem Gotthardsberg. Hinzu kamen weitere Sondagen, westlich der Ruine (Schnitte 10 bis 13) sowie im Kircheninneren (Schnitt 14). Mit den neuen Schnitten 15 und 19 bis 22 sollte die 2010 bereits in Teilen erfasste nördliche Außenmauer des Plateaus in ihrem vollständigen Verlauf erfasst werden. Die vorläufig letzte, kurze Kampagne im Jahr 2012 brachte noch nicht ganz abgeschlossene Arbeiten aus den Vorgängerjahren zum Abschluss und konzentrierte sich dabei auf den Schnitt mit dem Steinernen Wohnturm (Schnitt 9) und die nördliche Hangkante.

Die in den Grabungen dokumentierten Befunde lassen sich elf Besiedelungs- und Bauperioden zuweisen:

– Periode 1:     Merowingerzeitliche „Fliehburg“ in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts

– Periode 2:     Errichtung der Burg in der Mitte des 11. Jahrhunderts

– Periode 3:     Ausbau der Burganlage im zweiten Drittel des 12. Jahrhunderts

– Periode 4:     Umwandlung der Burg zu einem Kloster 1167, einhergehend mit der frühen Klosterzeit

– Periode 5:     Brandereignis in den 1330er Jahren

– Periode 6:     Wiederaufbau am Ende des 14. Jahrhunderts

– Periode 7:     Übergang von dem Kloster zu einem Priorat im Jahr 1439

– Periode 8:     Zerstörung des Priorats infolge des Bauernkrieges 1525

– Periode 9:     Reaktivierung von Kirche und Teilen des Klosters im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts

– Periode 10:   Gotthardsruine, eingeleitet durch den Blitzschlag von 1714

– Periode 11:   Aktivierung des Gotthardsberg als touristisches Ausflugsziel am Ende des 19. Jahrhundert

Periode 1: Merowingerzeitliche „Fliehburg“ in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts

Schnitt 8, Profil 2010/35: Im unteren Drittel zeichnet sich im Löß der Brandrodungs-Horizont des 8. Jahrhunderts ab.Von der ältesten Besiedelungsphase haben sich auf dem Gotthardsberg nur sehr wenige Reste erhalten. Ein Indiz für die früheste Besiedelungsphase liefert ein der nördlichen Außenmauer vorgelagertes Wall-Graben-System. Diese Aufschüttung ist eindeutig menschlichen Ursprungs und liegt über einer Strate mit Holzkohleeinsprengseln, die auf eine Brandrodung im Sinne einer Nutzbarmachung des Hügelplateaus hinweisen. Eine Datierung gelingt mit Hilfe einer Keramik an das Ende des 8. Jahrhunderts.2

Die aufgrund tiefreichender Bodeneingriffe in den folgenden Bauperioden zumindest im Bereich der 2010 bis 2012 durchgeführten Sondagen vollständig abgegangenen Spuren der ältesten Besiedelung lassen sich mit der karolingischen Besiedelung auf dem Areal des „Schlössel“ bei Klingenmünster vergleichen.3

Periode 2: Errichtung der Burg in der Mitte des 11. Jahrhunderts

Schnitt 8, Profil 2010/29: In der nördlichen Umfassungsmauer sind deutlich einzelne Mauerlagen in der neuartigen Fischgrätentechnik zu erkennen. Die früheste Burgbauphase ist nur in wenigen Schnittbereichen nachzuweisen (Schnitte 8, 13, 15, 21, 22).Schnitt 21, Profil 2012/7 W: Blick von Norden auf das Fundament der nördlichen Umfassungsmauer. Hinzu kommt die nord-süd-verlaufende, zweischalige Mauer in den Schnitten 6 und 16. Die Befunde können mithilfe wellenverzierter Kugeltöpfe und deren gesicherter Datierung in Salz/Rhön beziehungsweise Alt-Römhild/Südthüringen in die Mitte oder zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts und damit in die salische Epoche datiert werden. Vergleichbare Keramiken lassen sich auch für Worms nachweisen.4 Entsprechende Keramiken fanden sich sowohl in den an die erste BauphaseSchnitt 8, Profil 2010/50: Auch bei einer Binnenmauer auf dem Siedlungsplateau nördlich der Kirche ist die Fischgrätentechnik nachweisbar. der nördlichen Umfassungsmauer angrenzenden Schichten, sowie in den südlich an die Innenmauer angrenzenden Straten.

Es ist durchaus möglich, dass bereits in der zweiten Periode jene Mauern errichtet wurden, deren Fundamente in der für die Region bislang unbekannten Fischgrätentechnik errichtet wurden.

Periode 3: Ausbau der Burganlage im zweiten Drittel des 12. Jahrhunderts

Schnitt 9, Profil 2011/6: Blick auf die Straten innerhalb des großen Palasbaus. Direkt auf dem anstehenden Sandsteinfelsen zeichnet sich eine bis zu 20 cm mächtige Brandschicht ab aus der die qualitätvollsten Fundstücke geborgen wurden. Die Periode 3 definiert sich über die glimmerhaltige, gelbtonige Vorspessartware. Diese wird über Vergleiche aus Seligenstadt und der Ketzelburg bei Haibach in die 1180er Jahre datiert. Entsprechende Ware vom „Alten Schloss“ in Kleinwallstadt5 und vom Gräfenberg in Hösbach/Rottenberg zeigte bereits, dass diese Keramik in den Zerstörungshorizonten der 1270er Jahren enthalten waren und damit in den 1260er Jahren in Benutzung gewesen sein dürfte. Auffallend sind des Weiteren Parallelen zu Randformen und Volumina der Keramik von der Wiligartaburg bei Wilgartwiesen, Kreis Pirmasens.6 Dies gilt auch für die Pingsdorfimitate Seligenstädter Art. Die oben genannten Datierungen lassen sich durch die Frühdatierungen der Wiligartakeramik bereits in die 1130er/1140er Jahre zurückdatieren. Das Ensemble auf dem Gotthardsberg kann aufgrund der Vergesellschaftung mit anderem Schnitt 9: Östliche und Südliche Außenmauer des steinernen Palasbaus. Rechts zeichnet sich die Ausbruchsgrube der Nordmauer ab. Fundgut (Bronzeschale, Dorn eines Vortragekreuzes, Griff eines Türklopfers, Klappwaage) in der Brandschicht des „Steinernen Hauses“ in Schnitt 9 in die 1140er Jahre datiert werden. Durch entsprechende Anbindungen mit Schichten mit glimmerhaltiger Vorspessartware stammen sowohl die nördliche Außenmauer als auch die Mauer eines südlich davon befindlichen Gebäudes aus dieser Zeit. Die Keramik versteht sich als terminus post quem. Eine ähnliche Situation ist für die Schnitte 3, 8, 13 sowie 21-22 festzuhalten. Hier lässt sich die nördliche Außenmauer entsprechend datieren. Für die Schnitte 6 und 16 ist für jene Zeit die von Norden nach Süden den Schnitt in seinem östlichen Drittel durchlaufende Mauer die Südostecke eines großen, steinernen Gebäudes zu benennen.

Periode 4: Umwandlung von Burg zu Kloster 1167

Westlich der Kirche befand sich ursprünglich ie Bebauung des KlostersHier sind auf die Wohn- und Wirtschaftsbereiche östlich des Klosters zu verweisen (Schnitt 1, 2, 5, 6 und 16). Hinzu kommt das große steinerne Wohnhaus (Schnitte 3, 4 und 19-20). Aufgrund der Nutzung bis zur Zerstörung in den 1330er Jahren (Periode 5) ist eine eindeutige Zuweisung der entsprechenden Baukörper erst bei einer genauen Darstellung der relativen Chronologie möglich. Einzeln zu benennen sind in Schnitt 6 für diese Periode folgende Bauteile: Ein gepflasterter Schnitt 6: Ein gepflasterter Innenraum (?) unmittelbar vor der östlichen Abschlussmauer.Innenraum (?) unmittelbar vor der östlichen Abschlussmauer, ein südlich davor gelegener Gewölbekeller und der westlich an beide Baukörper anschließende, in den Felsen eingetiefte Raum („Haus des Priors“). Die Untersuchung des Gewölbehauses des Prioratshaus (Schnitt 2, 5) erbrachte, dass auch dieses bereits bei Beginn der Umwandlung zum Kloster errichtet worden sein dürfte. Zu diesem Zeitpunkt entstand auch ein mächtiges Haus (Schnitt 3, 4, 19 und 20). Sein Erdgeschoß führte man in Stein auf, das Obergeschoß in Fachwerktechnik. Weiter genutzt wurde die Mauer im Süden des Schnittes 4.

Schnitt 8, Profil 2010/42: In der rechten Bildhälfte ist der auf eine Gartenerdeschicht aufgetragene Stampflehmboden zu erkennen. Ein deutlicher Nutzungswechsel ist im nordwestlichen Areal festzustellen (Schnitt 8). Hier wurde ein Garten angelegt. Dafür brauchte man massive, stark humushaltige Erdschicht auf. Davor wurde die burgzeitliche Innenbebauung an dieser Stelle vollständig niederlegt. Erwähnenswert ist der aufgrund seiner darin enthaltenen Keramik um 1240 datierte Lehmstampfboden. Er stieß direkt an die nördliche Umfassungsmauer an. Da dieser die darunter liegende Gartenerdeschicht versiegelte, gibt er uns als terminus post quem einen Datierungsbehelf für die Anlage dieser Strate im Ganzen. Der Stampflehmboden bildete den Teil eines als Fachwerkkonstruktion errichteten Hauses. Er ist der einzige Baukörper, der sich mit aller zu Gebote Schnitt 18: Östlichster (diffuser) Baubefund des gesamten Siedlungsareals. stehenden Vorsicht in die Streitigkeiten zwischen Konrad von Dürn und dem Nonnenkloster am Ende der 1230er und zu Beginn der 1240er Jahren archäologisch zuweisen lässt.

Bemerkenswert ist die zumindest in Teilen erfolgte Ausdehnung des bebauten Areals über die von der Außenmauer vorgegebenen Fläche hinaus (Schnitte 6, 18). Eine Bebauungsgrenze nach Osten hin konnte aufgrund der weit fortgeschrittenen Erosion nicht ermittelt werden.

Periode 5: Brandereignis in den 1330er Jahren

Schnitt 4, Profil 2010/23: Massive Auflagerung aus Schuttschichten aus dem Brandereignis der 1330er Jahre. Ebenfalls nach erster Beschau mittels Keramik datiert,7 ist ein Brandereignis in den 1330er Jahren, von dem sämtliche Wohn- und Wirtschaftsbereiche betroffen waren. Der Brandzerstörung zurechenbar ist auch die Überbauung des Steinernen Hauses (Schnitt 9). Auch die Kirche war davon betroffen (Schnitt 14). Über die verheerenden Zerstörungen haben sich keine archivalischen Quellen erhalten. Der mit der Brandzerstörung einhergehende Schuttanfall, in erster Linie verziegelter Hüttenlehm, ist darauf zurückzuführen, dass – bis auf das Prioratshaus und die Kirche – sämtliche anderen Gebäude im Aufgehenden in Fachwerktechnik errichtet wurden. Hinzu kommt eine Massierung von Hohlziegeln, verfügten doch sämtliche Gebäude über ziegelgedeckte Dächer. Als Glücksfall für die Archäologen muss darüber hinaus festgehalten werden, dass für die Schnitte 4 und Teile von Schnitt 6 der Nachweis erbracht werden konnte, dass Teile des damals überbauten Areals anlässlich ihrer Reaktivierung in der Periode 6 nicht mehr neu überbaut wurden.

Schnitt 6, Profil 2010/51: Verbrannter Holzfußboden im „Haus des Priors“ und darüber eine bis zu 150 cm mächtige Brandschicht aus den 1330er Jahren.Im Osten (Schnitt 4) finden sich deutliche Belege für die Brandzerstörung. Zu benennen ist eine verstürzte Fachwerkwand. In großen Bereichen wurden sämtliche Spuren durch die Reaktivierung in Periode 6/7 beseitigt. Auch das Haus des Priors (Schnitt 6), das mit einem hölzernen Fußboden ausgestattet war, brannte bis auf die Grundmauern nieder. Hier erreichte die Brandschicht eine Mächtigkeit von 150 cm.8 Importkeramik und die Lage des begüterten Anwesens im Klosterbezirk weisen diesen Wohntrakt als das Haus der dem Nonnenkloster vorstehenden Prior zu. Wurde der östlich an das Haus des Priors anschließende Gewölbekeller, dessen Wölbung vom Brandereignis nicht betroffen war, spätestens in der Periode 6 reaktiviert, so gab man die ursprüngliche Raumaufteilung nördlich davon auf.

 

Periode 6: Wiederaufbau am Ende des 14. Jahrhunderts

Schnitte 10 bis 13: Mit Trockenmauern terrassiertes Areal westlich der Kirche, aufgefüllt mit Bauschutt aus dem 14. Jahrhundert. Die Wiederaufbauphase des Klosters am Ende des 14. Jahrhunderts war geprägt von massiven Umbauten im Bereich der Kirche. Anlässlich der Grabungen 2011 konnte festgestellt werden (Schnitt 14), dass dabei die Aufschüttungen über dem Felsen vollständig abgetragen wurden. Gleiches gilt für die Außenwände. Beim Neubau erhielt man von dem weitgehend zerstörten Vorgängerbau lediglich die inneren Bogenarkaden des Langhauses sowie Teile des Triumphbogens in Richtung Chor. Der angefallene Bauschutt wurde zur Aufplanierung des Areals nördlich und westlich der Kirche genutzt (Schnitte 7, 10 bis 12, 13). Gleichzeitig schuf der Neubau einen immensen Bedarf an Mauersteinen. Insbesondere zur Errichtung der Außenwände der Kirche wurden ältere Mauern teilweise bis auf Fundamentunterkante abgetragen. Die entsprechende Eintiefung zur Steinentnahme, welche bis annähernd zwei Meter unter die damalige Oberfläche reichten, konnten in den Profilen von Schnitt 13 dokumentiert werden.

Mit dem Neubau wurde ein Großteil jener Strukturen errichtet, die noch bis zu Periode 8, der Zerstörung im Jahre 1525 genutzt worden sein dürften. Es ist nicht möglich, die Bauphasen der Perioden 6 und 7 exakt voneinander zu trennen. Die Datierungsunsicherheit betrifft die gepflasterte Zuwegung zum Kloster (Schnitte 5, 6) und das Prioratshaus (Schnitte 1, 2, 5). Hinzu kommen die das Pflaster säumenden, einschaligen Mauern (Schnitt 6). Mit der Anlage eines steinernen, gepflasterten ZugangsweBlick auf das Tonnengewölbe des Priorats.ges der im Norden der Schnitte 5 und 6 und in der Verlängerung in Schnitt 7 bis an das Nordportal der Kirche geführt haben dürfte, ging eine klare, von der ursprünglichen klosterzeitlichen Siedlungsanlage abweichende Neugliederung der Wohn- und Wirtschaftsbereiche einher. Es zeigt sich dabei die Tendenz der Optimierung der Zuwegung und wirtschaftlichem Funktionieren der gesamten Anlage. Der Trend lässt sich für das Prioratshaus fortschreiben. Es wies einen durch eine Kellertreppe erreichbaren Gewölbekeller auf, dem nach Norden ein kleiner, gepflasterter Raum vorgelagert war, in dem eine Kelter stand. Der westlich an den Gewölbekeller angrenzende Verwaltungs- und Lagertrakt unterstreicht die funktionale Ausrichtung dieses Baukörpers. All dies steht in keinerlei Widerspruch mit der Dimensionierung des nach Norden und Süden mit einem Treppengiebel ausgestatteten Gebäudes und dessen Repräsentationscharakter. Das Prioratshaus dürfte allein aufgrund seines Bauvolumens bis zu seiner Zerstörung im Jahre 1525 das einzige Gegenstück zu dem massiven Baukörper der Kirche gebildet haben.

An das Ende des 14. Jahrhunderts fällt die Umnutzung des Areals über dem ehemaligen Haus des Priors. Nach sorgfältiger Verfüllung und Verdichtung diente das über den älteren Bebauungsspuren geschaffene Plateau unter anderem zur Ableitung des anfallenden Dachwassers. Davon zeugen zwei noch in situ gefundene, steinerne Rinnen.

Das Leitfossil bei der Zuweisung in die Periode 6 sind Halbzylinderkacheln vom Typ Tannenberg, wie sie zwischen 1380 und 1410 im hessischen Dieburg gefertigt wurden.9 Sie sind auf den Gotthardsberg vergesellschaftet mit kleinen, braun getauchten Kännchen aus Protosteinzeug mit abgesetztem Fuß und sehr dünnwandiger, gelb- und grünglasierter Irdenware mit feinteilig gerippter Wandung. Auch diese Geschirre lassen sich der Produktion der Dieburger Töpfereien zuweisen.

Periode 7: Übergang von Kloster zu Priorat im Jahr 1439

Ein Großteil der Umbaumaßnahmen am Übergang vom Kloster zum Priorat 1439 wurde bereits in der davorliegenden Periode 6 angesprochen. Eindeutig in die Periode 7 fällt der letzte Ausbau des großen Hauses direkt südlich der nördlichen Umfassungsmauer (Schnitte 3, 4, 19, 20). Dieses war zumindest in seiner östlichen Hälfte durch eine Ost-West- verlaufende Mauer in zwei etwa gleich große Hälften geteilt. Der ursprünglich querrechteckige Baukörper scheint in der Periode 7 infolge der Brandereignisse von Periode 5 auf einen schmalen Wohntrakt im Norden rückgebaut worden zu sein. In seiner westlichen Hälfte wies der Fußboden einen steinernen Plattenboden auf. Am Übergang zum damaligen Zugang in das leicht eingetiefte Erdgeschoß lagen große, glatte Keramikfliesen. Die Rampe selbst wies eine unregelmäßige Pflasterung auf. Trotz seiner vergleichsweise geringen Breite zeugen die im Brandschutt von 1525 liegenden Reste eines Estrichbodens davon, dass wir es hier mit einem zwar dezentral gelegenen, aber durchaus repräsentativ genutzten Gebäude zu tun haben. Es verfügte über einen Kachelofen mit Halbzylinderkacheln vom Typ Tannenberg. Reste dieses Heizkörpers lagen im Hangschutt nördlich des Gebäudes. Südlich des mindestens zweistöckigen Fachwerkhauses erhob sich, durch einen etwa zwei Meter breiten, bebauungsfreien Streifen getrennt, ein eingeschossiger, ziegelgedeckter und als Schwellenkonstruktion errichteter Pferdestall. Nach Osten schloss sich ein nach Norden vorspringender, gepflasterter Sockel an, welcher in der Periode 9 Teil der von Weilbach kommenden Zuwegung bildete.

Die Umwandlung von einem Frauenkloster in ein Priorat des Klosters Amorbach manifestiert sich in der Zusammensetzung des Fundguts. Fällt in der Zeit des Nonnenklosters eine Massierung von Importen beispielsweise von Steinzeug aus dem Rheinland oder von Messingobjekten wie Fingerhüten oder Schnallen aus Nürnberg, so beschränkt sich die repräsentative Ausstattung aus der Prioratszeit auf einen reich verzierten, grünglasierten Kachelofen, der in der Guten Stube über dem Weinkeller des Prioratshauses stand. Der deutliche Wechsel im Fundgut gibt einen Hinweis darauf, dass die Anlage mit der Übernahme durch das Kloster Amorbach weitgehend als Wirtschaftsbetrieb weitergeführt wurde. Für repräsentative Anlässe standen zu diesem Zeitpunkt Räumlichkeiten im Kloster im Tal zur Verfügung.

Periode 8: Zerstörung des Priorats infolge des Bauernkrieges 1525

Schnitt 1, Profil 2010/2: Bis zu Meterhohe Brandhorizonte bedecken die ursprüngliche Bebauung.Das Jahr 1525 bildet ebenso wie das Brandereignis in den 1330er Jahren eine entscheidende Zäsur in der Besiedelungsgeschichte des Gotthardsbergs. Mit der Brandzerstörung sämtlicher Wohn- und Wirtschaftsbereiche im Zuge des Bauernkrieges verlor die Anlage ihre ursprüngliche Bedeutung. Im Gegensatz zum Brandereignis in der Periode 5 dürfte von Seiten des Eigentümers vergleichsweise schnell die Entscheidung gefallen sein, das Areal nicht zu reaktivieren. Dies zeigt sich in der Entnahme von Hausteinen und steinernen Bodenplatten im Erdgeschoß des Prioratshauses.

Die Brandverheerung aus dem Jahr 1525 lässt sich am deutlichsten in den Schnitten 1, 3 und 20 fassen. Massive, bis zu meterhohe Brandhorizonte versiegeln die ursprüngliche Bebauung. Sowohl im Bereich des Prioratshauses (Schnitt 1, 2, 5) als auch im Bereich des großen Hauses nördlich der Kirche (Schnitt 3, 4, 19, 20) wurde der steinerne Haussockel nach Komplettaufgabe des Baukörpers bis weit unterhalb des Laufhorizontes ausgebrochen. Der Brandschutt war bis auf die eisernen Beschläge der Zugangstür zum Untergeschoß weitgehend fundfrei. Demnach hatte man zumindest diesen Baukörper vor der Zerstörung bewusst leegeräumt. In Entsprechung zu der etwa zeitgleich zerstörten Wildenburg handelt es sich demnach bei der Brandverheerung nicht um einen spontanen Eingriff in einen kontinuierlich in Schnitt 3, Profil 2010/10 S: Der steinerne Haussockel wurde nach dem Brand bis weit unter den Laufhorizont ausgebrochen. Nutzung stehenden Gebäudekomplex. Die Vermutung liegt nahe, dass man bereits zuvor die Bauten auf dem Gotthardsberg nur extensiv genutzt und sich bereits mit dem Gedanken einer Auflassung des Gebäudekomplexes getragen hatte.Schnitt 1, Planum 2010/2: Die letzten Reste des ansonsten bald nach 1525 entnommenen Plattenbodens im Erdgeschoß des Prioratshauses.

Ähnliches ist für das Prioratshaus zu vermelden. Hier gelang der archäologische Nachweis der Zerstörung bei der Dokumentation des Profils 2010/2. Dabei zeigte sich, dass der dort ursprünglich eingebaute, sorgfältig zugerichtete Fußboden aus Sandsteinplatten bald nach dem Niederbrennen der Bebauung annähernd zur Gänze herausgerissen worden war. Dass die Brandzerstörung den Baukörper selbst nicht komplett vernichtet hat, lässt sich an der westlichen, bis auf Höhe des ersten Obergeschoßes erhaltenen Außenwand ablesen. Selbst der weiß gekalkte Putz blieb weitgehend intakt.

Periode 9: Reaktivierung von Kirche und Teilen des Klosters im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts

Die von Seiten der Historiker in die 1629/30er Jahre gesetzte Reaktivierung des Klosters vor seiner Aufgabe im 30jährigen Krieg hinterließ seine Spuren auch im östlichSchnitt 6, Planum 2011/14: Auch der kleinere Gewölbekeller wurde bei der Reaktivierung in vollem Umfang genutzt. daran anschließenden Klosterbereich. Hinzu kommen Verfüllungen durch Umbauarbeiten in der Kirche selbst und im Bereich des der Kirche westlich vorgelagerten Plateaus (Schnitt 10 bis 12). Die Brandzerstörungen des Jahres 1525 wirkten sich bei weitem nicht so verheerend auf die Bausubstanz aus, wie vielleicht vermutet. So war der Weinkeller im Ostteil des Prioratshauses (Schnitt 1 und 5) noch voll funktionsfähig. Gleiches dürfte für das Tonnengewölbe über der nördlichen Zugangstreppe gelten. Ebenfalls noch in vollem Umfang nutzbar war der östlich davon befindliche, etwas kleinere Gewölbekeller. Eine Nutzung beider Gewölbekeller in Periode 9 darf aufgrund der dort auf der Kellersohle geborgenen Funde (Ofenkacheln, Tonpfeifen, Grapen mit hohen Füßen) als gesichert gelten. Ein massiertes Auftreten von braunglasierten, mit Tapetendekor versehenen Blattkacheln spricht dafür, dass ein nicht näher definierbarer Gebäudeteil ganzjährig bewohnbar war und über einen Kombinationsofen mit gusseisernem Unterbau verfügt haben dürften. Stilistisch können die Kacheln, zu denen es auch motivisch übereinstimmende Funde aus der Amorbacher Innenstadt gibt, in das erste Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts gestellt werden. Die hierzu notwendigen Vergleichsbeispiele lieferten Ausgrabungen im Schloss Johannisberg in Aschaffenburg sowie auf dem Theaterplatz, ebenfalls in Aschaffenburg.10 Mit einer gewissen Sicherheit kann erwogen werden, dass der Gotthardsberg bereits in den 1620er Jahren ganzjährig bewohnbar war. Die Bauinschrift „1629“ am frühbarocken Südportal der Gotthardskirche gibt eher das Ende des Ausbaus denn dessen Beginn an.

Periode 10/11: Gotthardsruine, eingeleitet durch den Blitzschlag von 1714 und touristische Nutzung am Ende des 19. Jahrhunderts

Naturgemäß fanden sich die Spuren der extensiven Nutzung des Areals nach dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts unmittelbar unter der Oberfläche. Zum einen sind hier Spuren eines Umbaus der Kirche nach den Blitzeinschlägen von 1689 und 1714 zu vermelden. Dabei wurde unter anderem der im gesamten Kirchenschiff verlegte, dekorierte Keramikfußboden ausgebrochen (Schnitt 14) und als Schutt zum Auffüllen des Erdgeschosses des Prioratshauses (Schnitt 1) sowie zum Aufböschen des Plateaus westlich der Kirche (Schnitt 10 bis 12) genutzt. Aus den 1920er Jahren stammen mit Porzellanverschlüssen ausgestattete Mineralwasserflaschen. Sie sind die letzten Spuren des Getränkeausschanks im Kapellenbereich aus den 1920er/30er Jahren. Der entscheidenste Eingriff in die archäologische Substanz war das Planieren des Nordplateaus in den 1990er Jahren und die Anlage eines Zufahrtsweges an der Nordflanke des Gotthardsberges. Hierbei kam es zu massiven Befundeinbußen (Schnitt 5, 7, 8, 9).

Fazit

Für den Gotthardsberg konnten durch die Grabungen 2010 bis 2012 eine Bebauungsgeschichte herausgearbeitet werden. Sie reicht von der merowingischen „Fliehburg“ über eine salisch/staufische Burganlage bis zu einem Kloster, dessen Rolle als Wirtschaftsbetrieb vor seiner Zerstörung im Jahre 1525 besonders herauszustellen ist.

Die salische beziehungsweise staufische Burganlage besaß eine Grundfläche von mindestens 80 auf 50 Metern. Sie erstreckte sich über die gesamte Hügelkuppe. Ihre Abmessungen definieren sich über eine bis zu 150 cm mächtige Ringmauer. In ihre südwestliche Ecke war eine große Kirche integriert. Sie bildete bereits in dieser Zeit den zentralen Baukörper der Kuppenbebauung. Der Wirtschaftsbereich befand sich auf dem eigens dafür angelegten nördlichen Plateau davor. Ein zentraler, repräsentativer und vollständig aus Stein ausgeführter Palas konnte im östlichen Segment der Burg verortet werden.

Als die Burg in ein Kloster umgewandelt wurde, änderte sich auch die Struktur der Bebauung. Der Wirtschaftsbereich verlagerte sich vom nördlichen Plateau in den nordöstlichen Bereich der Hügelkuppe. Nördlich der Kirche wurden Gärten angelegt.  Hier wurden größere Wirtschaftsgebäude und Stallungen errichtet (Schnitt 3-4), über deren steinernen Fundamenten sich im aufgehenden Fachwerkbauten erhoben. Auch ein repräsentatives Gebäude kann man in der Nähe des alten Palasbereichs verorten (Schnitt 5). Dieses wurde als Querriegel vor die Apsis der Kirche gesetzt. In sein Umfeld gehört ein kleiner Gewölbekeller. Auch dieser Bau dürfte nur in den unteren Geschoßen aus Stein errichtet worden sein. In die Zeit des Brandereignisses und des Wiederaufbaus in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts und dem anschließenden Übergang in ein Priorat fällt der Neubau eines zwei- bis dreigeschoßigen Gebäudes mit großem Gewölbekeller und einer massiven Ziegeldeckung östlich der Kirche. Bei einem nahezu quadratischen Grundriss mit einer Seitenlänge von bis zu zwölf Meter war die östliche Gebäudehälfte unterkellert und mit einem großen Tonnengewölbe überfangen. Dieser wurde als Weinkeller genutzt, wobei die Anlieferung des Rebensaftes über einen gepflasterten Weg erfolgt sein dürfte. Die Kelteranlage befand sich in einem Halbkellergeschoß, das dem Gebäudekeller östlich vorgelagert war.

Das große Gebäude mit dem Weinkeller dürfte eines der am längsten genutzten der Bebauung gewesen sein. Für jedermann überraschend waren die Spuren der Nachnutzung im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts. Dies lässt sich durch entsprechend verzierte Ofenkeramiken belegen.

Die Dokumentation der Eingriffe im Rahmen der touristischen Nutzung seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, zeigt, dass exponierte Bodendenkmale wie der Gotthardsberg, auch wenn sie allgemein als durch Umstrukturierungsmaßnahmen nicht gefährdet gelten, auch heute noch einem starken Wandel unterworfen sind, welcher sich massiv auf die Strukturen im Boden auswirkt.

Mit den archäologischen Untersuchungen auf dem Gotthardsberg konnte ein wesentliches Element der Kulturlandschaft zwischen Weilbach und Amorbach umfassend untersucht werden. Die Erkenntnisse bilden eine unverzichtbare Grundlage für weitere Forschungen für Bauhistoriker, Geographen, Historiker und Archäologen, insbesondere wenn es darum geht, die vier bedeutenden, maximal fünf Kilometer voneinander entfernt liegenden, hochmittelalterlichen Bauwerke Gotthardsberg, Kloster Amorbach, Templerhaus und Wildenburg zueinander in Beziehung zu setzen. Was ursprünglich als Beitrag zur Erforschung der Regionalgeschichte gedacht war, lässt aufgrund seiner Befunde und seiner Funde weit darüber hinaus gehende Verbindungen erahnen.


© Christine Reichert und Harald Rosmanitz, Partenstein 2021


Weiterführende Literatur:

Barz, Dieter: Die Burgruine „Schlössel“ bei Klingenmünster. In Laura Heeg (Ed.): Die Salier. Macht im Wandel ; [Begleitband zur Ausstellung im Historischen Museum der Pfalz Speyer]. München: Ed. Minerva, S. 304–305.

Ermischer, Gerhard (Ed.) (1996): Schlossarchäologie. Funde zu Schloß Johannisburg in Aschaffenburg. Aschaffenburg.

Grünewald, Mathilde; Bakker, Lothar (2012): Unter dem Pflaster von Worms. Archäologie in der Stadt. 1. Aufl. Lindenberg im Allgäu: Fink.

Lorenz, Joachim; Okrusch, Martin; Reichert, Christine; Rosmanitz, Harald (2011): „Porfido verde antico“ im Odenwald. Der Tragaltar vom Gotthardsberg. In Beiträge zur Archäologie in Unterfranken 7 (2011), S. 175–197.

Rosmanitz, Harald (2009): Burgenforschung im Spessart. Das „Alte Schloss“ in Kleinwallstadt. In Beiträge zur Archäologie in Unterfranken, S. 243–286.

Rosmanitz, Harald (2015): Die Ofenkacheln vom Typ Tannenberg. Eine spätgotische Massenproduktion im Spannungsfeld von Produzent und Konsument. In Stefan Hesse, Tobias Gärtner, Sonja König (Eds.): Von der Weser in die Welt. Festschrift für Hans-Georg Stephan zum 65. Geburtstag. Langenweißbach: Beier & Beran (Alteuropäische Forschungen, NF 7), S. 355–373.


  1. Hier befindet sich ein stark frequentierter Wanderweg und das Gelände fällt direkt anschließend nach Amorbach hin ab. In der anstehenden, finalen Kampagne im Frühjahr 2021 sollen allerdings an dieser Stelle Untersuchungen stattfinden.
  2. Bei Lorenz et al. 2011, S. 178 ist noch von einer karolingischen Datierung des Befundes die Rede. Eine genauere Datierung war durch die Ansprache durch Uwe Gross vom Regierungspräsidium in Stuttgart möglich.
  3. Barz
  4. Grünewald, Bakker 2012
  5. Rosmanitz 2009, S. 273-275
  6. Eine Auswahl der weitgehend reduzierten Ware aus Schnitt 6 wurde bereits vorgelegt. Lorenz et al. 2011, S. 95-97. Im besagten Beitrag wird die Zerstörung in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts datiert (S. 181). Dies kann inzwischen über vergleiche der Keramik beispielsweise mit dem Zerstörungshorizonte des Pallas der Burg Bartenstein in Partenstein aus dem Jahre 1333 (dort Schnitt 7) relativiert werden.
  7. Siehe dazu auch Lorenz et al. 2011, S. 191, Abb. 10.
  8. Rosmanitz 2015
  9. Ermischer 1996, S. 28-43
  10. Ermischer 1996, S. 28-43