Ein neuer Blick in die Geschichte
Die archäologischen Untersuchungen lassen die Geschichte des Klosters Elisabethenzell in völlig neuem Licht erscheinen. Bestimmend für das Wohl und Wehe war in erster Linie die wirtschaftliche Situation. Sie hing maßgeblich von den Grafen von Rieneck ab, die ihrerseits die Anlage als festen Bestandteil ihres Wirtschaftsimperiums kontinuierlich auf- und ausbauten. Kernstück ihres großflächig konzipierten Infrastukturprogramms war der zweispurige Ausbau der annähernd 70km langen Birkenhainer Straße zwischen Gelnhausen und Langenprozelten. Mit Hilfe der Straße war es möglich, die Erzvorkommen im Nordosten der Grafschaft mit den Bau- und Brennholz liefernden Regionen im Osten zusammenzuschließen. Dort waren zudem zahlreiche autarke Glasbläsereien angesiedelt worden. Darüber hinaus konnten die Erze in den ganzjährig betriebenen Mühlen im östlichen Spessart weiterverarbeitet werden.
Der Ausbau der Birkenhainer Straße war eine teure Infrastrukturmaßnahme. Als Element eines europaweiten Fernstraßensystems bildete diese Ost-West-Querung des Spessarts von etwa 1220 bis 1333 ein wesentliches Element der Verbindung zwischen den Handelsstädten Frankfurt, Bamberg und Nürnberg. Die archäologischen Untersuchungen am Straßenkörper westlich des Klosters zeigten, dass die Grafen von Rieneck dafür zwei parallel zueinander verlaufende, bis zu 140cm breite Wege anlegen ließen. Dazu wurde der verwitterte Oberboden bis in eine Tiefe von über einem Meter vollständig ausgehoben und beidseitig der dabei entstandenen, hohlwegeartigen Struktur aufgehäuft. Plattenartige Steine auf der sehr steilen Böschung verhinderten ein Zusetzen der Wege. Die in Stein eingeschlagenen Fahrspuren waren für Wagen mit einer Achsenbreite von ca. 105cm ausgelegt. Die Rinnen verhinderten das Ausbrechen der eisenbeschlagenen Räder der schweren Fuhrwerke.
Rushhour statt Waldesruh´
Auf einem Bergsattel gelegen, beherrschte das Kloster Elisabethenzell die Birkenhainer Straße und damit den auf ihr verlaufenden Verkehr. Je nach Wegeziel unmittelbar am Abstieg zum oder Aufstieg vom Main gelegen, war die Lage als Rast- und möglicherweise auch als Zollstation strategisch äußerst günstig gewählt. Dem wirtschaftlichen Erfolg des Klosters Einsiedel stand bei einer starken Nutzung der Fernstraße nichts mehr im Wege. Die durch die Ausgrabungen 2012/13 nachgewiesene Anlage mit von mehrstöckigen Häusern flankiertem Kloster und Raststation legt nahe, dass die Grafen von Rieneck im zweiten Drittel des 13. Jahrhunderts mit dem Kloster Elisabethenzell ein repräsentativ ausgestattetes Gebäudeensemble an neuralgischer Stelle errichteten. Mit ihm war es ihnen möglich, annähernd in Sichtweite ihrer Stammburg, ihren Herrschaftsbereich zu kontrollieren und für jeden deutlich sichtbar als den ihrigen auszuweisen. Mit der Straße konnten nicht nur die einzelnen Wirtschaftsareale sinnvoll miteinander verknüpft werden. Durch die Nutzung als Fernhandelsstraße gelangten die Grafen von Rieneck auch verhältnismäßig schnell an aktuelle Information jedweder Art. Dies erlaubte es ihnen, auf äußere Gegebenheiten schnell und flexibel zu reagieren.
Im Streit um das Erbe des Rienecker Grafen Ludwig d. J. konnten Truppen unter Federführung der Herren von Hanau schnell in die Rieneckischen Kernlande vorstoßen und dort ihren Erbanspruch mit militärischen Mitteln durchsetzen. In der Folge kam der Handelsverkehr auf der Birkenhainer Straße weitgehend zum Erliegen. Durch die systematische Zerstörung des Klosters Elisabethenzell – insbesondere der dortigen Wasserversorgung – war darüber hinaus ein strategisch wichtiger Posten zur Pflege des Straßenkörpers und zur Versorgung der Reisenden zu einem Gutteil unbrauchbar gemacht worden. Die Straße, die nach dem Konflikt von 1333 durch mehrere, miteinander zertrittene Herrschaftsräume führte, verfiel zusehehends. Der Fernverkehr verlief nun auf alternativen Routen. Unter diesen Vorgaben hatte man es mit dem Wiederaufbau des Klosters nicht sonderlich eilig.
Harald Rosmanitz, Partenstein, 2016