Rodungsinsel, Kloster, Raststation – Die Ausgrabungen des hochmittelalterlichen Klosters Elisabethenzell
Das Kloster Elisabethenzell wurde im Jahre 1295 anlässlich einer Schenkung der Grafen von Rieneck erstmals urkundlich erwähnt. Sie beauftragten die Prämonstratenser mit der geistlichen Betreuung des Klosters. Anfang des 14. Jahrhunderts folgten weitere Schenkungen an das Kloster. Ab 1410 ist den Urkunden zu entnehmen, dass sich der Gebäudekomplex in einem steten Niedergang befand. Die beiden frühen Kartenwerke des Spessarts, die Karte des Elias Hoffmann (1584) und die Pfinzingkarte (1594), zeigen an der Stelle des Klosters lediglich die Ruine eines großen steinernen Gebäudes, dessen Giebel sich noch vollständig erhalten hat. Auf den Karten ist die Ruine als Kloster Einsiedel bezeichnet. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden diese kartographisch dokumentierten Mauern abgerissen und die Steine für den Straßenbau verwendet.
Bei den Ausgrabungen ging es neben Fragen zur Siedlungs- und Nutzungsgeschichte, sowie der sozialen Stellung der Bewohner der Anlage in erster Linie darum, den noch erhaltenen Baubestand ausschnittsweise zu erfassen. Auf dieser Grundlage wird das Bodendenkmal aus der forstlichen Nutzung genommen. Ein kleiner Archäologiepark wird nach Abschluss der Maßnahmen voraussichtlich im Jahre 2017 den Wanderer umfassend über die historische Dimension des Ortes informieren.
Die bei den Grabungen freigelegten Strukturen übertrafen die Erwartungen der im Projekt Engagierten bei weitem. Der Kernbau, eine 23,5 Meter lange und 8,5 Meter breite Kirche (Bauphase 3), verdeutlicht, dass an dieser Stelle im Hochmittelalter weit mehr als die Kartause eines Einsiedlers stand. Fragmente bemalter, bleigefasster Glasfenster aus dem zweiten Drittel des 13. Jahrhunderts, Reste des figurativ rot bemalten Innenputzes, die aufwendig mit fein zugerichteten Sandsteinen verkleideten Altäre unterstreichen die einst qualitätsvolle Ausstattung der Kirche. Die Kirche selbst war in drei Phasen errichtet worden. Der kleine, höchstens zehn Meter lange und drei Meter breite, rechteckige Raum des ersten Kirchenbaus wurde bald nach Osten und Norden erweitert. Das höchstens fünfzehn Meter lange und vier Meter breite Kirchenschiff der zweiten Bauphase besaß nach Osten hin einen halbrunden Abschluss. Quermauern am Ansatz der Apsiden flankieren ein weit ins Kirchenschiff hineinragendes Altarfundament. Begünstigt durch umfangreiche Schenkungen der Grafen von Rieneck wurde kurz vor 1300 mit dem Bau der größten Kirche begonnen. Wie bereits bei dem davor errichteten Gotteshaus ummantelte man mit dem Neubau die Vorgängerkirche. Das Kirchenschiff wurde im Osten um einen quadratischen Mönchschor erweitert.
Wenn Knochen reden – die Grablegen auf dem Klosterareal
Die Kirche selbst diente den Klosteroberen als letzte Ruhestätte. Aufgrund von Kalkeintrag aus dem Mörtel der Mauern und der massiven Vermörtelung des im Mönch-Nonne-Verbund gedeckten Ziegeldachs der Kirche hat sich trotz des sauren Waldbodens ein Großteil der Knochen in situ erhalten. Als besonders begehrter Bestattungsort erwies sich das Areal unmittelbar westlich des Hauptaltars der Kirche. Das dort aufgedeckte Grab 4 steht beispielhaft für die Grablegen in der Kirche und in deren Umfeld. Die Grabstelle nordwestlich des Altars der Kirche aus der zweiten Bauphase mussten Teile des Fundaments der Ostmauer der Kirche der Phase 1 ausgebrochen werden. Nur so war es möglich, den Verstorbenen in exakter West-Ost-Ausrichtung zu bestatten. Die sehr schmale Grabgrube erlaubte lediglich die Bestattung eines in ein Leichentuch eingenähten Körpers. Die beigabenlose Bestattung war nicht die erste an exakt dieser Stelle. Bei der Anlage des Grabschachtes stieß der Totengräber auf die bereits vergangenen Reste einer älteren Bestattung. Von dieser beließ er den Schädel in der Grabgrube. Er kam unmittelbar neben dem Kopf des Zweitbestatteten zu liegen.
Nördlich an die Kirche grenzte der Friedhof an. Das ca. 140 Quadratmeter umfassende Areal wird von einer steinernen Mauer eingefasst. Damit sollten möglicherweise das Wild des angrenzenden Waldes vom Gottesacker ferngehalten werden, zumal die Grabgruben aus heutiger Sicht erstaunlich flach in das Erdreich eingetieft waren. Von den etwa 150 bis 200 dort Bestatteten konnten die sterblichen Überreste von 30 Individuen untersucht werden. Der Friedhof wurde von der Errichtung der zweiten Kirche um etwa 1270 bis im Juli 1333 kontinuierlich genutzt. Die Zerstörung des Klosters im Jahre 1333 erfolgte ebenso wie das Niederbrennen der nahegelegenen Burg Bartenstein im Rahmen eines militärisch ausgetragenem Erbstreits der Herren von Hanau mit den Grafen von Rieneck. Im Kloster Elisabethenzell fielen Teile der Ziegeldeckung des Kirchendachs auf den Friedhof. Die so entstandene kompakte Schuttdecke wurde nachträglich nicht mehr zur Anlage weiterer Grabgruben durchstoßen. Für die Forschung erweist sich dies im Nachhinein als besonderer Glücksfall. Die Archäologen können davon ausgehen, dass sie an dieser Stelle die sterblichen Überreste von drei Generationen eines in sich geschlossenen Gemeinwesens vor sich haben. Zu diesen dürften neben den Mönchen in erster Linie Bedienstete des Klosters gehört haben, die in den Wirtschaftsbereichen des Gebäudekomplexes ihr Auskommen fanden. Im Gegensatz zu den Bestattungen in der Kirche selbst geben in die Grabgruben gelangte Objekte und in Einzelfällen auch Grabbeigaben Hinweise auf Bestattungssitten. Eine in Tuch eingeschlagene, fein ziselierte Schere sowie die Reste eines eisernen Spatenschuhs sind dem Einschlagen des Toten ins Leichentuch und dem Ausheben der Grabgruben zuzuweisen. Bei dem Messingdraht dürfte es sich um die Überreste einer Grabkrone handeln. Sie wurde einem unverheiratet Verstorbenen im heiratsfähigen Alter beigegeben. Als bislang einzige Grabbeigabe ist ein grün glasiertes Spielzeugpferd anzusprechen, welches der Bestattung eines Kindes beigegeben wurde. Auffällig war die Häufung von Säuglings- und Kinderleichen etwa 100cm bis 150cm nördlich der Kirchenmauer. Demnach dürften sie im Traufbereich, also im Tropfbereich der nach Norden weisenden Hälfte des vorkragenden Kirchendaches begraben worden sein. Dem von einer geweihten Stätte abfließenden Regen wurde im Volksglauben eine ähnliche Wirkung zugemessen wie einer Besprengung mit Weihwasser.
Memento Mori
Wie bei größeren, mittelalterlichen Friedhöfen üblich, verfügte auch der Gottesacker des Klosters Elisabethenzell über ein Beinhaus. In vorliegendem errichtete man nördlich des Übergangs von Langhaus zum Chor ein etwa 120 cm nach Norden weisendes, zweilagiges Fundament. Auf ihm kam eine hölzerne Kiste zu liegen. In ihr sammelte man die bei den Ausschachtungsarbeiten im Friedhof zu Tage getretenen menschlichen Überreste. Zusätzlich entsorgte man dort die für Totenwaschung benutzten Gefäße.
Das Steinerne Haus – Urbane Lebenswelten inmitten des Spessarts
Zwei teilunterkellerte Häuser flankierten die Klosterkirche sowohl im Osten als auch im Westen. Der im Westen zu Beginn des 14. Jahrhundert an der Stelle eines abgebrannten Fachwerkhauses errichteten Gebäudekomplex war dabei der deutlich repräsentativere. An das querrechteckige Steinerne Haus schloss sich im Norden ein balkengedeckter Keller mit Lichtnische an. Ein Zeichen für den Wohlstand der einstigen Bewohner ist eine Warmluftheizung. Von ihrem vom Osten her beschickbaren Heizraum konnte eine Steinpackung erwärmt werden. Nach erlöschen des Feuers leitete man die nun rauchfreie Abwärme aus besagter Steinpackung durch Heizkanäle in die darüber liegenden Wohn- und Arbeitsräume. Das hochmittelalterliche Heizkonzept unterstreicht den Anspruch seines Erbauers auf einen Wohnkomfort urbanen Zuschnitts. Er wirkt inmitten der hochmittelalterlichen Kulturlandschaft Spessart fernab jeder größeren Siedlung mehr als deplatziert.
Rushhour statt Waldesruh‘
Die archäologischen Untersuchungen auf dem ehemaligen Kloster Elisabethenzell gaben interessante und unerwartete Einblicke in die vielschichtige Baugeschichte des Gebäudekomplexes. Trotz günstiger archivalischer Überlieferung blieben in den Schriftquellen wesentliche Ereignisse, wie die Niederlegung der Anlage im Jahre 1333 unerwähnt. Ihrer Bedeutung konnte erst mit Hilfe der Ergebnisse der archäologischen Untersuchungen Rechnung getragen werden.
Weiterführende Literatur:
Harald Rosmanitz, Rodungsinsel, Kloster, Raststation. Die Ausgrabungen des hochmittelalterlichen Klosters Elisabethenzell, in: Bayerische Archäologie (2014), S. 44–47.
Harald Rosmanitz, Kathrin Wrobel, Ausgrabungen in der Klosterwüstung Elisabethenzell, in: Das Archäologische Jahr in Bayern (2012), S. 138–140.
Harald Rosmanitz, Kathrin Wrobel, Archäologie an der Straße. Die Ausgrabungen im Kloster Elisabethenzell bei Rieneck, in: Beiträge zur Geschichte der Stadt und des Raumes Lohr 2 (2013), S. 9–42.
Harald Rosmanitz, Partenstein 2015