Die Herstellung von Reliefs aus Pfeifenton war vergleichsweise einfach. Ergrabene Werkstätten in Augsburg, Köln, Konstanz und Worms zeigen, dass der Töpfer dabei ohne aufwendige Werkstattausrüstung ausgekommen sein dürfte. Der magerungsfreie, weiß brennende Ton wurde nach sorgfältigem Einfetten der Form in ein keramisches Model eingedrückt. Die Statuetten konnten in einem Arbeitsgang durch das Eindrücken in ein zweischaliges Model hergestellt werden. Für die größeren Figuren, wie beispielsweise auch für die Figuren von der Mole bei Heimbuchenthal, formte man Vorder- und Rückseite getrennt aus. Die aus der Form gelösten Halbschalen wurden noch in lederhartem Zustand miteinander verstrichen. Nun folgten die Glättung der Seitennähte und das Zuschneiden der Standfläche mittels eines Schneidedrahts.
Die Arbeitsabläufe in einer solchen Werkstatt waren optimiert. In Konstanz, Lüneburg, Straubing oder in Utrecht gab es Werkstätten, die im 15. und 16. Jahrhundert außerordentlich qualitätsvolle Andachtsbilder oder andere Figurengruppen schufen. Die dort entstandenen keramischen Plastiken unterscheiden sich, mit Ausnahme des gewählten Materials, in keiner Weise von vergleichbaren Holzskulpturen.
In einem zweiten Arbeitsschritt wurden die Figuren in einem Töpferofen gebrannt. Man kann sich vorstellen, dass ein solcher Ofen mit zig Tausenden kleiner Kunstwerke bestückt war. Der Verkauf erfolgte dann auf einem überregionalen Markt. In unserem Fall ist an die am Main gelegenen Städte Aschaffenburg, Miltenberg, Wertheim und Würzburg zu denken.
Bleibt noch zu klären, was man mit diesen kleinen Bildern bezweckte: Pfeifentonfiguren lassen sich bezüglich ihrer Nutzung in zwei Gruppen unterteilen: Der Vielzahl von eindeutig als Kinderspielzeug identifizierbaren Stücken (vgl. das Kruselerpüppchen aus der Wüstung Stubach) steht eine ebenfalls nicht ganz unbedeutende Anzahl von Figuren gegenüber, die eindeutig volksfrömmigen Charakter besitzen. Eingebaut in kleine Altärchen, als Andachtsbilder an der Wand hängend oder an markanter Stelle auf einem Gesims oder in einer Nische stehend sollten sie die Bewohner vor Krankheit und Naturgewalten schützen. Eine geradezu abergläubische Verwendung fanden die als Devotionalien in Einsiedeln in der Schweiz verkauften Nachbildungen des wundertätigen Heiligenbildes aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Der beim Zerreiben der Figur entstehende Staub wurde eingenommen und sollte dem sehnlichen Kinderwunsch Rechnung tragen. Auch legte man solche Figürchen gerne unter das Wurzelwerk eines neu gepflanzten Baumes. Sicher erhoffte man sich dabei eine deutliche Ertragsteigerung.
Weiterführende Literatur:
Courtenay-Elle Crichton-Turley, Investigating London´s post medieval pipe clay figurines from 1500-1800. Critiquing 3D approaches to mould generation analysis via english and transatlantic case studies, Sheffield 2018.
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Gerald Volker Grimm (Hg.), Kleine Meisterwerke des Bilddrucks. Ungeliebte Kinder der Kunstgeschichte. Handbuch und Katalog der Pfeifentonfiguren, Model und Reliefdrucke. Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen, Büchenbach 2011.
Gerald Volker Grimm, Tünde Kaszab-Olschewski (Hg.), Heilige, Spielzeug, Glücksbringer. Pfeifentonfiguren aus Köln, Weinstadt 2012.
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Roswitha Neu-Kock, Eine „Bilderbäcker“-Werkstatt des Spätmittelalters an der Goldgasse in Köln, in: Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 21 (1993), S. 3–70.
Katherina Ostrowski, Nach der Mess´ die Mass. Zu Devotionalien und religiösen Objekten als Zeichen von Frömmigkeit und Religiosität im Wirtshaus des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, in: Donat Wehner (Hg.), Rasthäuser – Gasthäuser -Geschäftshäuser. Zur historischen Archäologie von Wirtshäusern, Bonn 2015, S. 99–119.
Werner Schäfke (Hg.): Heilige & Gaukler. Kölner Statuetten aus Pfeifenton. Kölner Museums-Bulletin 1/1988.
Hedvika Sedlácková, „Goldscheisser“ z Nymburka. [„Goldscheisser“ von Nymburk], in: Archaeologia historica 28 (2003), S. 547–552.
Eva Zimmerman, Die Mittelalterlichen Bildwerke in Holz, Stein, Ton und Bronze, Karlsruhe 1985, bes. S. 145, Kat.-Nr. 1.
© Irina Galina und Harald Rosmanitz, Partenstein, 2020