Als die Donnerkeile noch vom Himmel fielen*
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von Theresa Roth
Zwei der auf der Ketzelburg geborgenen Steinartefakte1 bieten sich für eine eingehendere Betrachtung an. Es handelt sich zum einen um das Fragment eines unter den Fundamenten des Wohnturms ergrabenen Schuhleistenkeils. Er hat einen abgerundet hochrechteckigen Querschnitt. Die Schichten des Gesteins laufen fast rechteckig zur Schneide. Ein in seinen Abmessungen identischer, jedoch vollständig erhaltener Schuhleistenkeil stammt aus dem benachbarten Hösbach. Bei dem zweiten Steinartefakt handelt es sich um einen Steinbeilrohling, der aus der Verfüllung der östlichen Palsamauer stammt2. Das 12,0 cm lange, 6,5 cm breite und 4,0 cm dicke Artefakt weist seitlich eine leicht konische Durchbohrung auf (Durchmesser 2,0 cm). Hinzu kommen zwei parallele, jeweils 0,5 cm in das Gestein eingeschliffene Rillen.
Beide sind eindrucksvolle Zeugnisse aus der Zeit des Neolithikums, so nennt man den Zeitraum, der von etwa 6000 bis 2000 v. Chr. dauerte. Das Neolithikum steht für einen maßgeblichen Wendepunkt in der Entwicklungsgeschichte des Menschen, da in dieser Zeit ein grundlegender Wandel in der Lebensführung vollzogen wurde. Waren die Menschen bis dahin als herumziehende Jäger und Sammler stets mit leichtem Gepäck ihrer Jagdbeute gefolgt, begannen sie nun in der Jungsteinzeit, sich auf günstigem Boden dauerhaft niederzulassen.
Diese Bindung an eigenen Grund und Boden brachte notgedrungen zahlreiche neue Errungenschaften hervor: man begann, Land zu bestellen und Vieh zu halten und betrieb somit erstmals Erzeugungs- oder Produktionswirtschaft. Des Weiteren wurden erste Häuser errichtet, Keramik gefertigt und Kleider durch Weben und Spinnen hergestellt. Der Mensch hatte begonnen, nicht mehr nur passiv das Angebot der Natur auszuschöpfen, sondern sie zu beherrschen und aktiv zu kultivieren: eine „Erfolgsgeschichte“ nahm ihren Anfang. Eine segensreiche Errungenschaft dieser Epoche war die Entwicklung und Herstellung von Steingeräten mittels verschiedener neuer Techniken, wie Bohren und Schleifen3. Zwar waren bereits zuvor einfach oder kunstvoll zugehauene Beile aus dem harten Feuerstein in Gebrauch. Diese waren aber nur mit einer ausgeklügelten Schlagtechnik dem natürlichen Stein abzutrotzen. Ganz anders waren die Steinbeile und Schuhleistenkeile der Jungsteinzeit mit ihren planen Unterflächen und kantig abgesetzten Seitenbahnen zu fertigen. Der kraftvolle Schlag wurde durch einen wesentlich zeitaufwendigeren Schleif- und Bohrvorgang abgelöst. Damit war es nun möglich, wesentlich präziser zu arbeiten4.
Das wahrscheinlich als Blitzableiter zweitverwendete Fragment eines Schuhleistenkeils von der Ketzelburg
Zu den geschliffenen Steingeräten sind auch unsere beiden Steinbeile zu zählen. Sie sind aus dem recht zähen und widerstandsfähigen Amphibolit gefertigt, einem so genannten Metamorphiten oder Umwandlungsgestein, das auch als Hornblende bekannt ist. Es besteht ursprünglich aus Basalt, der bei Vulkanausbrüchen an die Erdoberfläche gelangt und erkaltet ist. Im Lauf der Zeit wieder zurück ins Erdinnere befördert, kristallisiert er dort unter Einfluss von großem Druck und Hitze um, wodurch seine charakteristische mineralogische Zusammensetzung entsteht. Eines der Amphibolitvorkommen tritt südlich von Haibach offen zu Tage. Die nun durch die beiden Steinartefakte nachgewiesene Nutzung dieses Rohstoffvorkommens spricht dafür, dass die Gegend um Haibach bereits im Neolithikum als Siedlungsraum attraktiv war und bestärkt die Theorie von den ersten Haibacher Landbesitzern in diesem frühen Stadium5.
Der wegen seiner eigenartigen Form so bezeichnete Schuhleistenkeil kam in zahllosen Bereichen zum Einsatz, so beispielsweise als Hacke, Beil oder Meißel. Seine Unterseite war flach geschliffen, die Oberseite gewölbt. Beide stießen an der Schneide zusammen6. Andere Werkzeuge, die als Axt dienten, wurden mit einer Bohrung versehen, in die ein Holzschaft eingesetzt wurde. Die experimentelle Archäologie hat ein Verfahren rekonstruiert, mit dem man noch heute mühelos solche Steine durchbohren kann: Man benutzt dazu ein Holunderholz, das mit der Spitze in Quarzsand getaucht wird. Durch schnelles Hin- und Herdrehen auf der Steinoberfläche lässt sich damit ein konisches Bohrloch erzeugen.
Diesen Weg sollte auch der in der Mauerverfüllung gefundene Rohling nehmen, allerdings zerbrach er seinem Bearbeiter während des Bohrens, was diesen ziemlich verärgert haben dürfte, hatte er doch bereits viel Zeit und Mühe in die Bearbeitung der Schneide investiert. Damit die Arbeit nicht ganz umsonst gewesen sein sollte, wollte er den Stein nun durch Abschleifen der Kanten wenigstens noch als Schuhleistenkeil verwendbar machen. Dabei brach ihm dieser ein zweites Mal und war nun endgültig nicht mehr zu gebrauchen. Man kann sich gut vorstellen, wie der Haibacher Jungsteinzeitmensch wohl ziemlich wütend wurde, nachdem ihm mehrere Stunden Arbeit so einfach unter den Händen zerbrachen und wie er den nutzlos gewordenen Rohling grummelnd verwarf. Ungefähr vier Jahrtausende später dürften dann Bauern im Dienste des Herren von der Ketzelburg wohl eher zufällig bei den Aushubarbeiten für die Burg oder auf einem frisch gepflügten Acker über das gute Stück gestolpert sein und es kurzerhand in die Mauerverfüllung seiner Anlage gesteckt haben
Sicher keine Freude für den Hersteller: Die zweimal zerbrochene Steinaxt von der Ketzelburg
Eine weit ehrfurchtsvollere Behandlung erfuhr der Schuhleistenkeil, der unter der Türschwelle des Wohnturms niedergelegt wurde. Im Mittelalter war nämlich der Volksglaube weit verbreitet, dass jene steinernen Artefakte aus vergangener Zeit die Spitze von Blitzen seien, die als Donnerkeile in die Erde gefahren waren7. Als Donnerkeile interpretierte man etwa die versteinerten Schalen von Belemniten, urzeitlicher Tintenfische8. Solche Versteinerungen wurden oft nach Gewittern mit starken Regenfällen frei gespült. Auch den Steinbeilen wurden die gleichen Eigenschaften als Überreste von Blitzen nachgesagt. Diese Blitze wurden angeblich im Kampf gegen die Mächte der Finsternis eingesetzt, andererseits aber auch als göttliche Strafe oder Warnung gewertet. Man glaubte zudem, dass die Donnerkeile, ähnlich wie der Hammer des Donar, stets in die Hand des Blitzeschleuderers zurückkehrten. Langsam steigen sie demnach wieder aus dem Erdinneren nach oben und kommen im siebten Jahr schließlich an die Oberfläche9.
So stellte sich der Konservator des Museums in Aschaffenburg, Jean Friedrich, um 1900 das LÖeben in der Jungsteinzeit vor. Die kolorierten Zeichnungen befinden sich heute im Besitz der Museen der Stadt Aschaffenburg.
Der Finder eines solchen Donnerkeils konnte sich glücklich schätzen, hatte ihm doch das Schicksal einen überaus mächtigen Talisman in die Hände gespielt, dem die verschiedensten übernatürlichen Kräfte zugeschrieben wurden. So sollte er – irgendwo im Haus aufbewahrt – vor Blitzeinschlägen schützen: denn wo sich schon ein Donnerkeil befand, da schlug der Blitz kein zweites Mal ein. Aus diesem Grund legte der Herr von der Ketzelburg seinen Donnerkeil als Blitzschutz unter dem Fundament des Wohnturms nieder. In anderen Fällen ist, unter anderem auch für Haibach, die Aufbewahrung im Gebälk des Dachstuhls als besonders brandgefährdetem Teil des Hauses bezeugt10. An diesen Blitzschutz glaubten die Menschen noch bis ans Ende des 19. Jahrhunderts11.
Allerdings wurden Steinbeile daneben auch für zahlreiche weitere magische Praktiken benutzt. So sollten sie, als Amulett um den Hals getragen, Zauberkräfte verleihen, vor bösen Mächten schützen und Krankheiten heilen. Zu diesem Zweck bestrich man auch äußere Verletzungen mit dem Donnerkeil, oder nahm davon abgeschabtes Pulver vor allem bei Magen-Darmbeschwerden als Medizin ein. In der Hand einer Gebärenden gehalten sollte er außerdem die Niederkunft erleichtern12.
In Anbetracht der magischen Kräfte, die man mittels eines Donnerkeils für die eigenen Zwecke nutzen zu können glaubte, hat es den Ritter von der Ketzelburg sicher ungemein erleichtert, dass er seine eben im Aufbau befindliche Anlage wenn schon nicht vor Feinden und anderen „irdischen“ Gefahren, so doch wenigstens vor Unwetter und überirdischen Phänomenen jeder Art schützen konnte …. Immerhin wurde die Ketzelburg definitiv nicht durch einen Blitzeinschlag zerstört.
„Ein paar Belege für den Glauben an die Beseeltheit der Natur gewahren wir an der Hand der Donnerkeile. Eine der zahlreichen geschliffenen Steinbeilklingen hat man im Ewegebiet (Togo, Afrika) gefunden. Die Leute nennen sie, ganz wie wir auch, Donnerkeil, sie bewahren sie in ihren Hütten im Dachstroh und schreiben ihnen schützende Eigenschaften gegen Blitzschlag zu. Auch als Heilmittel gelten sie, indem man kranken Kindern Pulver vom Stein in den Heiltrank tut und diesen zu trinken gibt.“
Deutsches Kolonial-Lexikon von 1920, S. 497
* Überarbeitete Fassung eines Artikels, veröffentlicht in Harald Rosmanitz, Die Ketzelburg in Haibach. Eine archäologisch-historische Spurensuche (Neustadt a. d. Aisch 2006), S. 107-110.
- Harald Rosmanitz (Hg.), Die Ketzelburg in Haibach. Eine archäologisch-historische Spurensuche, Neustadt a. d. Aisch 2006, Tafel 23.1–2.
- Der Schuhleistenkeil lag in Schnitt 7 unter Befund 29. Das Halbfabrikat lag als Steinstückung in der zweischaligen, östlichen Mauer des Palas (Befund 44) in Schnitt 13.
- Peter Endrich, Vor- und Frühgeschichte des bayerischen Untermaingebietes (Aschaffenburg 1961), 38f.
- Edward Sangmeister, Die ersten Bauern. In: Hansjürgen Müller-Beck (Hg.), Urgeschichte in Baden-Württemberg (Stuttgart 1983), 439f.
- Dafür sprechen auch zahlreiche weitere, jungsteinzeitliche Steinbeile, die in Haibach gefunden wurden (Renate Welsch u. Carsten Pollnick, Haibach 1187 – 1987 – 800 Jahre Ortsgeschichte (Haibach 1987), 20f.). Zu den Steinbeilen aus dem Raum Aschaffenburg ausführlich: Markus Marquart, Beiträge zur Vorgeschichte des Aschaffenburger Landes im Spiegel der Sammlungen des Aschaffenburger Stiftsmuseums. Masch. Diss. (Kiel 2002), 57–64.
- Endrich 1961, 41.
- Vgl. dazu auch Erhard Cosack, Als die Steinbeile noch vom Himmel fielen. Archäologie in Deutschland. 1/2004, 62f; Siegrid Heidelk-Schacht, „Donnerkeile“ aus dem Bezirk Neubrandenburg. Ausgrabungen und Funde Bd. 28, 1983, 105–109; H. Heintel, Blitzschutz und Beilzauber. Fundberichte aus Hessen 1, 1961, 129f.
- Hermann-Josef Höper, „Riese und Einhorn“. Fossildeutungen in Sage und Brauchtum. Westfalen im Bild, Heft 3 (Münster 1987), Dia 5.
- Heidelk-Schacht 1983, 105.
- Welsch/Pollnick 1987, 20f.
- Heidelk-Schacht 1983, 107.
- Cosack 2004, 62f.