Eine Burg auf Abruf

Eine Vorstellung über das ursprüngliche Aussehen der Ketzelburg gibt uns die zeichnerische Rekonstruktion der etwa zeitgleichen Turmhügelburg von Halton in Lancashire in England. Zeichnung von John Hodgson 2003Die Ketzelburg war- wie oft irrtümlich angenommen – weder in keltischer noch in römischer Zeit besiedelt. Desweiteren kann nach Ausweis der bisherigen Befunde auch eine jungsteinzeitliche Besiedelung ausgeschlossen werden. Die verkehrstechnisch günstige Lage auf einem Felsenvorsprung hin zu einem nach drei Seiten steil abfallenden Tal unterstreicht die verteidigungstopografisch günstige Situation.

In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstand auf der höchsten Erhebung des Burghügels ein typischer Wohnturm. Der Wohnturm besaß die Form eines annähernd quadratischen Rechtecks mit einer Weite von jeweils 5,0 m in seinem Inneren. Er dürfte damit auf mehreren Geschossen jeweils 25 Quadratmeter Wohn- und Lagerfläche geboten haben. Vom Wohnturm hat sich eine etwa 0,7 m breite, zweilagig aufgeführte, vermörtelte Mauer erhalten. Ihr Fundament wurde direkt auf den anstehenden Felsen gesetzt.

Mörtelbrocken, an denen sich zum Teil noch Reste einer weißen Tünche erhalten haben, sprechen dafür, dass der Mauersockel ursprünglich verputzt und weiß getüncht war. Eine Analyse des Füllmörtels durch ProDenkmal in Bamberg bestätigte, dass es sich bei dem porösen, etwas mürben Mörtel um ein Gemisch aus Kalk mit ungewaschenem, braunem Quarzsand handelt, wie er noch im letzten Jahrhundert unmittelbar am Burgstall abgebaut wurde. Die Volumenanteile von Kalk zu Sand betragen 1:4. Der hohe Feinsandanteil ermöglichte eine hohe Viskosität des Mörtels.

Die Fundamente gehörten aller Wahrscheinlichkeit nach zu einer dreigeschossigen Fachwerkkonstruktion mit Strohdach1. Solche Wohntürme oder „Festen Häuser“ verfügten im Untergeschoss über Wirtschafts- und Lagerräume. Im Falle der Ketzelburg war dieser durch eine einschalige Zwischenmauer in eine erhöhte Hälfte mit Stampflehmboden, sowie in eine bodenseitig mit einer Steinpackung befestigte Raumhälfte unterteilt. Letztere wies zudem eine Sickergrube auf. Zusätzlich zum eigentlichen Bauwerk legen die Deponierung eines Steinbeilfragments unter der südlichen Mauer des Wohnturms, sowie die Bestattung eines Hundes mit Speisebeigabe unter dem Stampflehmboden ein beredtes Zeugnis vom Aberglauben des Hausherren ab.

In dem darüber liegenden Stockwerk dürften sich die Wohnräume befunden haben. Diese waren, zumindest teilweise mit fliesenbelegten Fußböden ausgestattet. Hinzu kam ein Becherkachelofen. Den oberen Abschluss bildete möglicherweise eine überdachte Wehrplattform2.

Anlagen dieser Art dienten nach Ausweis der Befunde und Funde als Wohnsitz einer adeligen Familie mit angegliedertem Wirtschaftsbereich3. Gleichzeitig stellten sie den Dreh- und Angelpunkt der Grundherrschaft dar. Sie waren Wirtschafts- und Verwaltungszentren sowie Gerichtssitze.

Es darf angenommen werden, dass zeitgleich mit der Ketzelburg auch jene Siedlung entstand, aus der sich später die Gemeinde Haibach entwickeln sollte4 erstmalige urkundliche Erwähnung 1187.

Zur Burgstelle gehört neben dem Wohnturm auch ein östlich daran anschließender Wirtschaftsteil. Bei der Suche nach Bebauungsspuren in diesem Areal stieß man im Jahre 2004 auf die Reste eines Grubenhauses, in dem sich neben einer Feuerstelle im Stampflehmboden kleine Pfostenlöcher abzeichneten. Bei ihnen handelt es sich möglicherweise um die Spuren eines Standwebstuhls. Für eine Textilbearbeitung in diesem Grubenhaus spricht weiterhin der Fund eines Webgewichts.

Ein weiterer, im Jahre 2005 gründlich untersuchter Mauerzug lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit als linke Wange eines in Stein aufgeführten Tores ansprechen. Spuren eines Torhauses waren archäologisch nicht nachweisbar. Möglicherweise besaß die Ketzelburg keinen eigentlichen Torbau, sondern lediglich einen steinernen Mauerdurchlass. Zudem konnte mithilfe der ergrabenen Fläche nicht die tatsächliche Breite der Maueröffnung ermittelt werden. Im Versturz der Torrampe liegende, sorgfältig behauene Sandsteinquader belegen die repräsentative Ausgestaltung dieses, ansonsten aus normalem Bruchsteinmauerwerk aufgeführten Bauwerks. Weitere Schnitte erbrachten im Bereich der Hangkante Steinstückungen. Diese sind jedoch im Vergleich zu den massiven Fundamenten der linken Torwange außerordentlich kleinteilig.

Insgesamt kann man davon ausgehen, dass der Burgstall lediglich ein steinernes Eingangstor besaß. An dieses dürfte sich zu beiden Seiten eine Palisade angeschlossen haben. Erosionsbedingt ließ sich dieser Umstand in den untersuchten Flächen leider nicht durch entsprechende Befunde untermauern. Eine Palisade vorausgesetzt, verliehen ihr die besagten Steinstückungen zusätzliche Stabilität.

Ein kleiner, von der linken Torwange abknickender Mauerzug kann mit aller Vorsicht als Hinweis auf eine Innenbebauung unmittelbar hinter der linken Torwange gedeutet werden. Ein schmales, nach Nordwesten abfallendes, steingefasstes Kanälchen, welches nach Südosten direkt an die Torwange anschließt, dürfte bei Regen das anfallende Wasser gesammelt haben. Die Drainage war notwendig, um ein Aufweichen der Lehmschichten im Bereich der nach Südwesten weisenden Hangkante und einen daraus resultierenden Hangrutsch zu verhindern. Ob es bei dem Kanälchen um die Zuleitung zu einer Zisterne handelt, konnte nicht geklärt werden. Möglicherweise diente rinr zylindrische, noch bis in eine Tiefe von 1,8 m reichende Grube im Süden des Burgplateaus als Wasserspeicher.

Die Schnitte durch den umschließenden Graben erbrachten einen in den stark verwitterten Felsen eingetieften Sohlgraben, an den sich nach außen hin ein Wall anschloss. Es finden sich keine archäologischen Belege für eine weitere Palisade im Bereich des äußeren Walls.

Nach Ausweis der Keramik wurde die Ketzelburg in der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts angelegt. Ob dabei Wohnturm und Toranlage gleichzeitig errichtet wurden, lässt sich nicht anhand der Befunde klären. Wie die Verfüllungen im Burggraben zeigten, wurde der Burggraben schon bald etwa zur Hälfte wieder verfüllt und das dahinter liegende, steinerne Tor aufgegeben. Ob im gleichen Zuge auch das Grubenhaus im Osten des Burgplateaus eingeebnet wurde, lässt sich anhand der Befunde ebenfalls nicht klären. Die Lückenhaftigkeit der Überlieferung ist mit den erheblichen Erdbewegungen in der dritten Periode begründbar. Bei den Planierungen des 14. Jahrhunderts kam es zu einem erheblichen Erdabtrag, der es uns heute nicht mehr erlaubt, einen direkten Befundzusammenhang zwischen Toranlage, Wohnturm und Grubenhaus herzustellen.

In der zweiten Periode verschloss man die Torrampe mit einer Palisade und errichtete in dem nun stark aufgehöhten, ehemaligen Tordurchlass ein Gebäude mit trapezförmigem, steinernen Fundament, welches von Südwesten über eine ebenfalls steinerne Treppe betreten werden konnte. Die Interpretation archivalischer Quellen lässt vermuten, dass die Ketzelburg bereits vor 1200 aufgegeben wurde5. Die Auflassung der Burgstelle erfolgte allem Anschein nach nicht durch eine gewaltsame Zerstörung.

Anlässlich eines Reaktivierungsversuches am Ende des 14. Jahrhunderts (Periode 3), erhielt die Burgstelle durch umfangreiche Planierungsmaßnahmen ihre heutige Form.


Harald Rosmanitz, Partenstein 2006

  1. Joachim Zeune, Salierzeitliche Burgen in Bayern, 177-233, bes. 169-200, In: Horst Wolfgang Böhme, Burgen der Salierzeit. Teil 2: In den südlichen Landschaften des Reiches, Sigmaringen 1991; ders., Die Bamberger Bischofspfalz, In: Lothar Henning, Die Andechs-Meranier in Franken. Europäisches Fürstentum im Hochmittelalter, Mainz 1998, 203-207.
  2. Hans-Werner Peine, Dodiko, Rütger von der Horst und Simon zur Lippe: Adelige Herren des Mittelalters und der frühe Neuzeit auf Burg, Schloss und Festung, In: Hartmut Polens, Hinter Schloss und Riegel. Burgen und Befestigungen in Westfalen, Münster 1997, 160-223, bes. 165-170.
  3. Wolfgang Hartmann, Zur Geschichte der Spessartburgen Waldenberg und Kugelberg und ihrer Herren, Aschaffenburger Jahrbuch 19, Aschaffenburg 1997, 9-53; Theodor Ruf, Eine Sage, eine Urkunde von 1187, Spuren der verschwundenen Burg: Lassen sich daraus Hinweise auf Ereignisse und Zustände des Lebens einer Gemeinde gewinnen?, Spessart 1987, 3-8.
  4. Theodor Ruf, Zur Geschichte Haibachs von der Ersterwähnng bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, in: Renate Welsch u. Carsten Pollnick, Haibach 1187-1987. 800 Jahre Ortsgeschichte, Haibach 1987, 44-65, bes. 44-53.
  5. Gerhard Ermischer, Aschaffenburg und Mainz, In: Gerhard Ermischer, Den Bogen spannen- Glanz der Romanik in Aschaffenburg, Aschaffenburg 2001, 12-20, bes. 18f