Vom karolingischen Dorf zum Königsgut –
Die Ausgrabungen in der Wüstung Seehausen bei Zellingen-Duttenbrunn, Lkr. Main-Spessart
Anhand von Lesefunden sowie durch Luftbildaufnahmenkonnte im „Seehauser Grund“, südlich von Zellingen-Duttenbrunn, das Vorhandensein einer karolingerzeitlichen Siedlung nachgewiesen werden. Geophysikalische Untersuchungen lieferten Siedlungsbefunde in Form von Gruben, Grubenhäusern sowie Steinstrukturen. Der Historische Verein Karlstadt e.V. initiierte gemeinsam mit dem Markt Zellingen und mit Unterstützung durch das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege (BLfD) eine Ausgrabung. Maßgebliche Förderungen erfolgten von der Kulturstiftung des Bezirks Unterfranken, dem Markt Zellingen sowie vom „Sachgebiet Ehrenamt in der Bodendenkmalpflege“ des BLfD.
Mit der Maßnahme, die von Mai bis Oktober 2023 dauerte, wurde das Archäologische Spessartprojekt e. V. – Institut für unterfränkische Kulturlandschaftsforschung an der Universität Würzburg (ASP) betraut. Dieses führt in Unterfranken seit annähernd zwanzig Jahren Grabungen mit ehrenamtlichen Helfern unter fachlicher Aufsicht durch. Projekte dieser Art stehen in der Tradition des open dig. Dabei geht es um die permanenten Einbindung der science society in möglichst viele Bereiche einer solchen Ausgrabung. Die Gesellschaft für Archäologie in Bayern e.V. bot 2023 interessierten Mitgliedern an, sich bei den archäologischen Untersuchungen in Seehausen aktiv zu beteiligen.
In der mehrere Hektar großen Siedlungsfläche wurden fünf kleine Schnitte angelegt. Im Westen einer topographisch exponierten Hügelkuppe stießen die Ausgräber bereits in den ersten Tagen der Maßnahme auf ein Gräberfeld. Erosionsbedingt lagen die Ost-West ausgerichteten Skelette unmittelbar oder knapp unterhalb des Pflughorizonts. Die Einbringung von Dünger hatte die Knochensubstanz der oberen Belegungen stark in Mitleidenschaft gezogen. Wenige Fundstücke, die unabsichtlich in die Grabgruben gelangten, legen die frühmittelalterliche Zeitstellung der ansonsten beigabenlos Begrabenen nahe. Das Reihengräberfeld erstreckte sich über eine Grundfläche von annähernd 1000 m². In der für die Untersuchung bewilligten Fläche konnten knapp 60 Bestattungen dokumentiert werden.
Auf dem Höhenrücken östlich des Gräberfeldes wurde das steinerne Fundament eines zehn auf sechs Meter messenden, Nord-Süd ausgerichteten Gebäudes ergraben. In dessen Mitte lag eine Mörtelmischgrube. Auch hier datiert das im Hausbereich geborgene Fundgut in die Karolingerzeit.
Ähnlich dimensioniert, aber besser erhalten, war ein ebenfalls in Stein aufgeführter Keller. Auf ihn stießen die Ausgräber in einer Senke südlich des auf der Hügelkuppe liegenden Hausbefundes. Bei diesem handelt es sich wahrscheinlich um eine Darre zum Dörren und Trocknen von Getreide und anderer landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Darauf verweist ein gesonderter Feuerungsraum, von dem aus sich eine östlich anschließende Steinpackung erwärmen ließ. Auch hier liegen durchweg karolingerzeitliche Funde vor.
Auf einen ganz anderen Typus von Bodendenkmal zeiget sich den Ausgräbern in einem weiteren Schnitt westlich der mutmaßlichen Darre: Im späten Mittelalter war dort ein steinerner Brunnenschacht angelegt worden. Dessen Nutzung reicht bis ins 18. Jahrhundert. Die ursprünglich in einer Brunnenstube eingehauste Anlage stand später im Zentrum eines größeren Pfostenbaues. Vieles spricht dafür, dass durch den Brunnen das hier weidende Vieh weitab der nächsten Siedlungen mit dem notwendigen Nass versorgt wurde.
Wir können anhand der Lesefunde sowie aufgrund der ergrabenen Befunde davon ausgehen, dass die karolingerzeitliche Besiedlung in der Wüstung Seehausen nur von kurzer Dauer war. Die Bebauung und auch das Gräberfeld dürften planmäßig errichtet und in der Folge über zwei bis drei Generationen hinweg genutzt worden sein. Die in ihren Fundamenten in Stein errichteten Gebäude sprengen, ebenso wie die Anzahl der auf dem Friedhof Bestatteten, die Dimension einer schlichten, dorfartigen Siedlung (auf dem Land?) bei weitem. Spuren einer katastrophalen Zerstörung fanden sich in den ergrabenen Befunden nicht. Die Siedlung dürfte systematisch rückgebaut worden sein. Alles Verwertbare wurde entnommen und konnte so anderenorts wiederverwendet werden.
Mit dem als Darre angesprochenen Steingebäude konnte ein Bautypus ergraben werden, zu dem sich bislang keine archäologischen Parallelen in der Karolingerzeit ausfindig machen lassen. Darren finden sich indes in zeitgenössischen Quellen, unter anderem im St. Galler Klosterplan. Schriftlich werden solche Wirtschaftsgebäude als integraler Bestandteil von Königsgütern aufgeführt. Derlei planmäßig errichtete und betriebene landwirtschaftliche Produktionseinheiten dienten mit ihren teilweise vor Ort weiterbearbeiteten Erzeugnissen der Deckung eines überregionalen Bedarfs. Mit dem Ergraben eines solchen Wirtschaftsstandorts betritt die Archäologie des Frühmittelalters Neuland.
Die Ausgrabung, die sich über einen Zeitraum von annähernd sechs Monate erstreckte, kann mit beachtenswerten Forschungsergebnissen aufwarten, die in Kürze vorgelegt werden sollen. Darüber hinaus war es ein außerordentlich erfolgreiches Projekt der science society. Mehr als 3000 Interessierte konnten sich im Ramen von zwei Grabungsfesten einen Eindruck von den laufenden Arbeiten verschaffen. Während mehrtägiger Schulprojekte war es Schülerinnen und Schülern möglich, praktische Bodendenkmalpflege hautnah zu erfahren. Die Bereitschaft zur Mithilfe war enorm, bei den Grabungen ebenso wie bei der Ausrichtung der Feste oder bei dem Engagement, das Ergrabene Besuchern zu erläutern. Mehr als 7000 geleistete Ehrenamtsstunden veranschaulichen diese gelebte Verankerung des Denkmalpflegegedankens in der Bevölkerung.
Impressionen: