Richtig wichtig – eine Burggeschichte
Rekonstruktion einer kleinen Zugblide in Heimbuchenthal 2009. Mit einer ähnlichen, allerdings wesentlich größeren Wurfmaschine wurde auch die Burg Wildenstein um 1260 beschossen.

Rekonstruktion einer kleinen Zugblide in Heimbuchenthal 2009

Die Burg Wildenstein verdankt ihre heutige Form1 in erster Linie dem Expansionsstreben der Grafen von Rieneck. Im „Windschatten“ der staufischen Reichslandpolitik gelang es ihnen, eine herausragende Machtposition im Spessart zu erlangen. Das ursprünglich am Niederrhein und in Mainfranken begüterte Adelsgeschlecht übte im 12. Jahrhundert in Mainz das königliche Amt des Burggrafen sowie das episkopale Amt des Erzstiftsvogts, später nur noch das des Stiftsvogts von St. Peter und Paul in Aschaffenburg aus. Es vergrößerte nach Teilung der niederrheinischen und fränkischen Grafschaftsteile und Familienzweige um 1200 sein Herrschaftsgebiet im Spessart durch erfolgreiche Heiratspolitik sowie durch Landesausbau enorm2. Dabei erfuhr es immer wieder Rückendeckung von Seiten des Königtums, das vorrangig an einem stabilen Machtgefüge in der Übergangszone zwischen den beiden Zentrallandschaften des Rhein-Main-Gebiets und Frankens interessiert war. Dem Grafenhaus gelang es nicht nur die eigene Position zu sichern, sondern auch eine Expansionspolitik zu betreiben, die auf die Schaffung eines mehr oder weniger geschlossenen, den gesamten Spessart umfassenden Territoriums abzielte.

In diese Phase fällt zwischen 1230 und 1250 der erste Ausbau der Burg Wildenstein (Periode 2). Damals entstanden die mächtige, aus Buckelquadern errichtete Ringmauer und der auch heute noch bis ins Erdgeschoss erhaltene Palas. Das Ganze dürfte noch um einen massiven Bergfried zu ergänzen sein, wie er zuvor auf dem Stammsitz der Rienecker, der Burg Rieneck, aufgeführt wurde. Datierend sind hierbei die kissenförmigen Buckelquader, wie wir sie bereits an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert von der Burg Rothenfels kennen3. Diese bestimmten bis in die 1250er Jahre hinein repräsentative Bauelemente auf Burgen. Um sich auch kirchenpolitisch im Südwesten des Spessarts eine gesicherte Position zu schaffen, hatten Graf Ludwig II. von Rieneck und seine Frau Adelheid im Jahre 1232 das Kloster Himmelthal bei Rück gegründet, das zwei Jahre darauf königliche und päpstliche Privilegien erhielt. Der Ausbau der Burg Wildenstein scheint vor allem dazu gedient zu haben, dem Kloster als „Schutzburg“ zu dienen4. Im Laufe ihres Aufstiegs setzten sich die Rienecker im 13. Jahrhundert einerseits gegen andere Adelige durch, traten zwangsläufig aber in Konkurrenz zu den umliegenden, bereits etablierten Herrschaften, namentlich Mainz und Würzburg5. In den daraus resultierenden Konflikten vermochten sie es zwar, sich gegen das Hochstift Würzburg weitgehend zu behaupten, nicht jedoch sich in der Auseinandersetzung mit Mainz, die zwischen 1259/60 und 1271 mehrfach militärisch ausgetragen wurde, durchzusetzen. In der Folge mussten sie zum wiederholten Male die Territorialgewalt und Lehnsherrschaft des Mainzer Erzbischofs sukzessive anerkennen. Dieser Konflikt wurde maßgeblich mit dem Mittel der Burgenpolitik ausgetragen. Der Burg Wildenstein kam dabei eine zentrale Rolle zu, was seinen Niederschlag nicht zuletzt im archäologischen Befund findet6.

Auch archivalisch lässt sich dies gut nachvollziehen:

– Eine erste Quelle, die über kriegerische Handlungen informiert, stellt der Friedensvertrag vom 12. Juli 1260 dar, in dem die Grafen Ludwig, Gerhard und Heinrich von Rieneck dazu verpflichtet werden, ihre Ansprüche in der zu Grunde liegenden Streitsache aufzugeben. Die Rienecker versprechen unter anderem, auf alle Feindseligkeiten wegen der ihnen im Krieg entstandenen Schäden, insbesondere gegen Reinhard von Hanau und gegen jene, die bei der Einnahme der Burg Wildenstein dabei waren, zu verzichten7.
– Als nächstes liegt eine Erklärung der mainzischen Partei vom 28. Juli 1261 vor, in der gleich mehrere ältere Verträge gewissermaßen wiederholt und zusammengefasst werden8. Neben dem Nachweis der Existenz weiterer, heute verschollener Verträge scheint dieses Dokument ein Versuch zu sein, die Bestimmungen des Vorjahres in Bezug auf das Burgenbauverbot nachträglich und unilateral auch auf den rieneckischen Eigenbesitz im westlichen Spessart auszuweiten, denn die Rienecker blieben seiner Ausstellung aus Protest fern. Sie scheinen nach der ersten Niederlage mit dem Bau einer Befestigung in Eschau selbst begonnen und damit die Erklärung provoziert zu haben
– Dass es um diese Klausel oder eher um die von ihr betroffene Befestigung in Eschau doch zur handfesten Auseinandersetzung kam, belegt wenig später ein Friedensvertrag vom 5. September 1261, in dem die Rienecker die erweiterten Bestimmungen anerkennen9. Mainz muss demnach die Burg in Eschau zerstört und dort selbst mit dem Bau einer ähnlichen Anlage begonnen haben.
– Die letzte Quelle, in der die Burg Wildenstein im Rahmen des Konflikts mit dem Erzbischof von Mainz aufgeführt wird, stammt vom 17. März 1266. In dem Friedensvertrag stimmen die Grafen unter Vermittlung Hermanns von Henneberg der vollständigen Zerstörung mehrerer Burgen im westlichen Spessart zu. Die Burg Wildenstein ist davon nicht betroffen, wird jedoch in einer weiteren Klausel an den Erzbischof verpfändet10.

Mit dem Friedensvertrag vom 25. Juli 1271 fand der Konflikt seinen endgültigen Abschluss. Rieneck wird in der Folge durch Lehensbande enger an Mainz gebunden, einer weiteren Expansion dadurch ein Riegel vorgeschoben. Der Besitz um Wildenstein wurde jedoch kurz darauf an die Pfalzgrafen, den mächtigsten Rivalen der Mainzer Erzbischöfe11, zu Lehen aufgetragen, was einen Zugriff durch Mainz verhindert. So werden 1291 Wildenstein und Kleinheubach als pfalzgräfliche Lehen Rienecks genannt. Mit Mainz herrschte fortan Frieden. Wildensteins Existenz als Rieneckerburg war gesichert.

Auf lange Zeit hin finden Burg und Amt Wildenstein nur noch gelegentlich Erwähnung. Die Burg selbst wird am Übergang vom 14. zum 15. Jahrhundert unter Anwendung eines komplett neuen Wehrkonzeptes wieder aufgebaut (Periode 5). Der Bereich innerhalb der Ringmauer wird durch eine von Nord nach Süd verlaufende Mauer mit Eckturm im Norden halbiert. Lediglich die westliche Hälfte, in der auch der Palas steht, wird künftig als Kernburg genutzt. Die Burg ist nun Verwaltungsmittelpunkt. Sie dient zur Einnahme, zur Lagerung und zur Aufbereitung des abgelieferten Zehnten. Von den Grafen von Rieneck wird das nun in erster Linie als Kellerei genutzte Bauensemble nur gelegentlich anlässlich von Jagdausflügen aufgesucht.

1462/63 wird die Grafschaft zwischen den Brüdern Philipp dem Älteren und Philipp dem Jüngeren aufgeteilt, da sie sich auf eine gemeinsame Herrschaft nicht einigen können. Wildenstein kommt an den Älteren. Eberhard Schenk von Erbach, der Schwiegervater des letzten Grafen von Rieneck, erhält am 31. März 1520 die Anrechte der Pfälzer Lehen um Wildenstein zugesprochen, sollte Rieneck ohne männliche Erben aussterben. Am 3. September 1559 stirbt Graf Philipp III. von Rieneck ohne Erben zu hinterlassen. Das Lehen Wildenstein fällt an die Kurpfalz. Bereits am 14. September kommt Graf Georg von Isenburg auf die Burg Wildenstein, um eine Auflistung des Burginventars vorzunehmen12. Die Visitation beginnt im Obergeschoss des Haupthauses, wobei Raum für Raum durchgegangen und alles Bewegliche notiert wird. Ein Jahr darauf bekommen die Grafen Eberhard XIV., Georg III. und Valentin II. von Erbach das Amt Wildenstein als Pfälzer Lehen. Sie setzen einen neuen Amtmann auf der Burg ein.

In den 1680er Jahren lebt der letzte Amtmann des Grafen Erbach, Johannes Schnellbacher, mit seiner Frau Anna Maria und seinen neun Kindern auf Wildenstein13. Zu diesem Zeitpunkt war die Burg schon baufällig. Am 25. Dezember 1689 stirbt Johannes Schnellbacher und wird am 27. Dezember in Eschau beigesetzt. Mit der darauf folgenden Verlagerung der Kellereirechte büßt die Burg Wildenstein ihre letzte Funktion ein und verfällt endgültig.

Weiterführende Literatur:

Heidi Banse, Anna Maria Schellenbacher, Eine Webertochter aus der Wallonie, in: „gelurt“. Odenwälder Jahrbuch für Kultur und Geschichte (2004), S. 109–113.
David Enders, Zerstörung von Burgen. Untersuchungen zu einem Phänomen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit mit Beispielen aus dem Spessart. (Masch. Masterarbeit), Bamberg 2014.
Christine Engler, Keine Burg weit und breit? Die Burgenlandschaft des westlichen Spessart vom 12. bis 14. Jahrhundert. (Masch. Magisterarbeit), Bamberg 2009.
Bernhard Ernst, Hinterlassenschaften eines Zusammenbruchs. Der Auszug der Familie Nothafft aus Burg Runding im September 1829, in: Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit 16 (2005), S. 112–116.
Adolf Feulner, Bernhard H. Röttger, Wildenstein, in: Felix Mader (Hg.), Bezirksamt Obernburg. Die Kunstdenkmäler von Bayern. Regierungsbezirk Unterfranken XXIII, München 1925, S. 142–146.
Wolfgang Hartmann, Zur Geschichte der Spessartburgen Waldenberg und Kugelberg und ihrer Herren, in: Aschaffenburger Jahrbuch für Geschichte, Landeskunde und Kunst des Untermaingebietes 19 (1997), S. 9–53.
Wolfgang Hartmann, Zur frühen Geschichte von Sommerau und seiner Wasserburg., in: Spessart 103 (2009), S. 3–11.
Wolfgang Hartmann, Burg Wildenstein. Vor 750 Jahren urkundlich ertmals erwähnt, in: Main-Echo. Ausgabe Obernburg (20./21.11.2010).
Peter Kolb, Ernst Günther Krenig (Hg.), Vom hohen Mittelalter bis zum Beginn des konfessionellen Zeitalters (Unterfränkische Geschichte Bd. 2) 1992.
Felix Mader (Hg.), Bezirksamt Obernburg. Die Kunstdenkmäler von Bayern. Regierungsbezirk Unterfranken XXIII, München 1925.
Harald Rosmanitz, Die Nachgeburtstöpfe auf der Burg Wildenstein. Ein kurioser archäologischer Fund im Palaskeller, in: Spessart 106 (2012), S. 10–13.
Harald Rosmanitz, Die Erschließung der Burgen im Spessart zwischen Forschung und Zivilgesellschaft. Veränderung als Chance, in: Katarina Predovnik (Hg.), The castle as social space (Castrum Bene 12), Ljubljana 2014, S. 233–245.
Harald Rosmanitz, Christine Reichert, Eschau, Lkr. Miltenberg, Burg Wildenstein. Archäologische Untersuchungen, April/Mai 2011 sowie August bis Oktober 2012. (Masch. Manuskript), Partenstein 2014.
Theodor Ruf, Das Inventar über die fahrende Habe des Grafen Philipp III. von Rieneck in den Schlössern Schönrain, Rieneck, Wildenstein und Lohr (1559), Würzburg 1982.
Theodor Ruf, Die Grafen von Rieneck. Genealogie und Territorienbildung. Diss. phil. Würzburg, 2 Bände, Würzburg 1984.
Patrick Schicht, Buckelquader in Österreich. Mittelalterliches Mauerwerk als Bedeutungsträger, Wien 2011.
Uli Steiger, Die kurfürstlichen Schenken von Erbach. Eine Dynastie im Dienste der Wittelsbacher, in: Alfried Wieczorek (Hg.), Die Wittelsbacher am Rhein. Die Kurpfalz und Europa, Regensburg/Mannheim 2013, S. 389–396.
Thomas Steinmetz, Die Königspfalz Rothenburg ob der Tauber, Brensbach 2002.


David Enders und Harald Rosmanitz, Partenstein 2015

  1. Der Grundriss bei Feulner/Röttger 1925, S. 143, Fig. 95, hält dem Abgleich mit den tatsächlich vorhandenen Mauerstrukturen nur bedingt stand. Das dürfte unter anderem damit zusammenhängen, dass die Bestandserfassung weit vor den Entschuttungen am Ende des 20. Jahrhunderts erfolgte. Daher finden Strukturen wie der Weg nördlich des Palas, die Teilung in Palas und westlich anschließenden Küchenbereich oder das Wächterhäuschen neben dem südlichen Ringmauerdurchlass keine Berücksichtigung. Auch wird die als Fortsetzung der östlichen Palasmauer konzipierte, nach Norden bis zum Turm laufende Trennmauer der Periode 4 in ihrer Bedeutung verkannt. Eine genaue Bauaufnahme, wie sie im Bereich der archäologisch untersuchten Flächen 2011/12 angefertigt worden ist, zeigt, wie grob die Vorarbeiten für die Erstellung dieses Planes waren.
  2. Ruf 1984, Bd. 1, S. 128-149; H. Körner, Grafen und Edelherren als territorienbildende Kräfte. In: Kolb/Krenig 1992, S. 105-107.
  3. Steinmetz 2002, S. 114-142; Schicht 2011, S. 208-212; Mader 1925.
  4. Ruf 1984, Bd. 1, S. 131.
  5. Ruf 1984 und Hartmann 1997 zufolge richtete bereits 1196/97 der Mainzer Erzbischof Konrad I. ein Gesuch an Kaiser Heinrich VI., um mit dessen Einverständnis gegen diejenigen rieneckischen Burgen militärisch vorzugehen, deren Lehnshoheit die Grafen dem Bischof verweigerten. Doch gelang es weder ihm noch seinen nächsten drei Nachfolgern, die Rienecker in die Schranken zu weisen oder in ihrem Aufstieg zu bremsen. Erst Werner von Eppstein, 1259 bis 1284 Erzbischof, vormals Propst des Aschaffenburger Stifts und somit bestens mit der politischen Situation vertraut, trat ihren Ambitionen entschiedener entgegen (Hartmann 1997, S. 25).
  6. Zuletzt: Enders 2014, S. 58-63.
  7. Ruf 1984, Bd. 1, S. 152.
  8. Demnach hatten die Rienecker mit dem Bau einer Burg oder Befestigung in Eschau, bei der es sich wahrscheinlich nicht um Wildenstein handelt, gegen die Vertragsbestimmung verstoßen, wonach sie keine Burg oder Befestigung im Spessart oder diesseits des Waldes, weder auf eigenem noch auf fremdem Boden oder auf Besitz der Mainzer Kirche bauen durften (Ruf 1984, Bd. 1, S. 154f).
  9. In ihm wird bekundet, dass (1) die Grafen mit dem Bau einer Befestigung in Eschau gegen die bestehenden Verträge verstoßen haben, (2) der Bischof die nach deren Zerstörung seinerseits in Eschau errichtete Burg selbst niederlegen wird, (3) die Grafen im Wald oder diesseits des Waldes, sei es auf Mainzer oder auf eigenem Boden oder sonst wo und auch jenseits des Waldes oder sonst wo auf Mainzer Boden keine Befestigung errichten und (4) sie 300 kölnische Denare zahlen (Ruf 1984, Bd. 1, S. 156).
  10. Sie verpflichten sich unter anderem 500 Mark Silber zu zahlen, wobei für 300 Mark dieser Summe die Burg Wildenstein an Mainz verpfändet wird, die übergangsweise vom Grafen von Henneberg, der auch für die restlichen 200 Mark der Summe bürgt, verwaltet wird (Ruf 1984, Bd. 1, S. 157f).
  11. Steiger 2013.
  12. Ruf 1982.
  13. Banse 2004. Von den letzten Bewohnern haben sich zahlreiche Spuren im archäologischen Kontext erhalten. Neben den später zu erörternden Nachgeburtsbestattungen im Keller des Palas (Rosmanitz 2012) sind die Laufhorizonte im Erdgeschoss des Palas und im Küchentrakt dieser Zeitstellung zuzuweisen. Gleiches gilt für die obersten Auflagerungen nördlich des Palas. Fundkonzentrationen von Geschirr und Tierknochen lassen die Anlage von kleineren Depots anlässlich des Auszugs ihrer Bewohner vermuten (Ernst 2005).