Science meets Prehistory
Die Altenburg zwischen Leidersbach und Sulzbach war nicht nur in der Michelsberger Zeit (ca. 4000 v. Chr.) besiedelt. Für eine spätere Wiederinbetriebnahme sprachen bereits erste Erkenntnisse, die während der Grabungen am inneren Wall im Westen der prähistorischen Höhenburg 2008 gewonnen werden konnten. Demnach wurde besagter innerer Wall über einer michelsbergerzeitlichen Besiedlungsschicht aufgeschüttet. Bei der Schüttung handelt es sich um die Stein-Holz-Konstruktion einer Pfostenschlitzmauer, die aufgrund mitteleuropäischer Parallelen grob in die letzten fünf Jahrhunderte vor Christi datiert werden kann. Fehlende Keramik, vor allem aber der schlechte Erhaltungszustand der Anlage, erlaubte bislang keine genauere Datierung dieses für die Geschichte der Altenburg doch so bedeutenden Bauabschnitts. So konnte bis dato ein Zusammenhang der Altenburg mit dem Weltkulturerbe Limes nicht endgültig von der Hand gewiesen werden.
Ohne Klärung der Frage nach dem Alter, nach der Datierung ihrer Funde blieben wichtige Fragen der Archäologie zur Altenburg unbeantwortet. Alles Graben und die späteren Auswertungsarbeiten im Labor hingen gleichsam in der Luft, konnte man doch nur im Einzelfall feststellen, aus welcher Zeit welches Gefäß oder welche Grabungsschicht stammte. Erst mit der Darstellung des chronologischen Ablaufs der Geschichte kann die Archäologie, die »Wissenschaft des Spatens« nun zur Geschichtswissenschaft werden und die Besiedlung des Höhenrückens zwischen Leidersbach und Sulzbach mit all seinen kulturellen, handwerklichen, gesellschaftspolitischen Zeugnissen systematisch darstellen.
Heute verfügen wir über eine ganze Anzahl von Methoden und Techniken, deren Ergebnisse den Laien manchmal an Zauberei denken lassen könnten. Um trotz fehlender Anhaltspunkte wie Urkunden, Münzen oder datierte Inschriften zu absoluten Zeitbestimmungen zu kommen, sind aufwändige naturwissenschaftliche Methoden vonnöten. Im Falle des inneren Walls der Altenburg bot sich die 1946 von dem Amerikaner Willard F. Libby (1908-1980) eingeführte Radiocarbon- oder C14-Methode an, haben sich doch die Reste verkohlter Balken erhalten, die ursprünglich als stabilisierendes Gerüst in den aus locker aufgeschichteten Sandsteinen bestehenden Wall eingebaut waren.
Bei der C-14-Methode wird das archäologische Material durch radioaktive Isotope datiert: Durch Assimilation bzw. mit der Nahrung nimmt jedes Lebewesen Kohlenstoff auf. Zwischen dem stabilen Kohlenstoffisotop C12 und dem radioaktiven Isotop C14 stellt sich ein bestimmtes, konstantes Mengenverhältnis ein. Stirbt der Organismus ab, hört die Kohlenstoffaufnahme auf. Das in einer bekannten Zeit (Halbwertzeit 5745 Jahre) zerfallende C14 Isotop wird zur Ausgangsbasis der Datierung. Durch die Messung des Zerfalls unter Berücksichtigung der Halbwertzeit, also des Zeitraums, in dem das radioaktive Isotop um jeweils die Hälfte seiner Substanz zerfällt, kann die Zeit seit dem Absterben des Organismus, dem Tod eines Menschen oder dem Fällen eines Baumes, ziemlich genau bestimmt werden, da ja mit dem Tod die Kohlenstoffaufnahme endete. Für diese revolutionäre Methode, deren Anwendungsmöglichkeiten bis etwa 50000 Jahre zurückreichen, erhielt ihr Entdecker 1960 den Nobelpreis für Chemie.
Die C-14-Untersuchung setzt extrem aufwändige Probenentnahmen und Laborbedingungen voraus: Verunreinigungen am archäologischen Material könnten einen falschen C14-Gehalt angeben. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist, dass der C14-Gehalt in Organismen durch unterschiedliche Sonnenaktivität, durch Atomexplosionen, ja sogar durch Abgase beeinflusst wird. Nur wenige Laboratorien in Deutschland verfügen über ideale Voraussetzungen zur Analyse von C-14-Proben. Dazu zählt auch das Leibnitz Laboratorium für Radiometrische Datierung und Isotpenanalyse der Christian-Albrecht-Universität Kiel, dem im Oktober 2008 zwei in Aluminium verpackte Holzkohlestückchen zur Analyse übergeben wurden. Trotz hoher Kosten schickten wir zwei Proben ein, um so eine gewisse Sicherheit bei der Datierung zu haben. Ende Juli 2009 lag dann endlich das Ergebnis vor: Demnach handelt es sich bei den eingesandten Proben um verkohlte Überreste von Eichenstämmen, die in die Zeit um 440 v. Chr. (+- 30 Jahre) datiert werden können.
Die Zeit des Ausbaus der Höhenbefestigung auf der Altenburg fällt an das Ende der Hallstattzeit. In dieser Epoche des Umbruchs und der Neugestaltung nahm die Eisennutzung in Mitteleuropa ihren Anfang. Benannt ist diese Zeit nach dem Ort Hallstatt im österreichischen Salzkammergut, wo die Archäologen gewaltige historische Bergwerke entdeckten, in denen vom 8. bis ins 5. Jh. v. Chr. Salz (Halle = Salz) abgebaut worden war. Gleich neben den Bergwerken stießen die Archäologen schon im 19. Jh. auf einen großen Friedhof, dessen Freilegung für damalige Verhältnisse gut dokumentiert wurde. Unter den rund 1000 Gräbern befanden sich einige großartige Bestattungen führender Männer – mit üppigen Beigaben: Waffen und Fibeln aus Eisen, Keramik und etruskische Bronzegefäße, anhand derer die Gräber dem 7. und 6. Jh. v. Chr. zugewiesen werden konnten.
Am Ende der Hallstattzeit bildete sich ein durch Kontinuität (Bezüge bis zur Bronzezeit) und Neuerungen gekennzeichnetes Völkergemisch aus, das später unter dem Sammelbegriff „Kelten“ bekannt werden sollte. Die einzelnen Keltenvölker verbanden ihre Sitten und Gebräuche, Kunst und Kultur und vor allem eine gemeinsame Sprache. Ihren Aufstieg, der im Jahre 357 v. Chr. letztlich zur Belagerung der Weltstadt Rom führen sollte, verdanken die Kelten vor allem zwei Rohstoffen die uns heute trivial und vollkommen uninteressant erscheinen: Salz und Eisen. Das Salz, auch weißes Gold genannt, war ein begehrter Konservierungsstoff für Lebensmittel wie Fleisch und Fisch. Es wurde über weite Wegstrecken und entlang der Flüsse gehandelt. Bezüge zwischen der keltischen Besiedlung der Altenburg und der am Fuße der Altenburg gelegenen Saline von Soden liegen mangels Untersuchung der Ursprünge dieser Salzquelle noch im Dunkeln. Als gesichert darf hingegen gelten, dass die Kelten in unserer Region durchaus salzhaltige Wässer zu nutzen verstanden, wie die Ausbeutung der Salzvorkommen im hessischen Bad Nauheim zeigen. Eisen, besser gesagt größere Vorkommen von Raseneisenerzen, befanden sich in der unmittelbaren Umgebung. Als sich nach der letzten Eiszeit das Klima erwärmte, lösten Fluss- und Grundwässer es aus tieferen Gesteinsschichten und lagerten es an der Bodenoberfläche in Mineralböden ab. Aus diesen Raseneisenerzen gewannen keltische Schmiede durch Raffinieren und Aufschmelzen in mannshohen, tönernen Rennöfen schmiedbares Eisen.
Eisen und Salz bildeten in Verbindung mit fruchtbaren Ackertrassen die Grundlage eines Reichtums, zu deren Schutz oder auch Zurschaustellung der weithin sichtbare innere Wall auf der Altenburg errichtet wurde. Dabei wendete man die damals gängige Baumethode an: Steine, in unserem Fall Sandsteine, wurden in einem Gerüst aus Holzbalken lose aufgeschichtet. Darüber dürfte sich eine hölzerne Brüstung, möglicherweise sogar ein hölzerner Wehrgang erhoben haben. Von vergleichbaren herkömmlichen Wallanlagen aus Holz und Erde, wie sie sich gleich mehrfach am Untermain erhalten haben, wissen wir, dass diese in jeder Generation (20 bis 30 Jahre) erneuert werden mussten.
Die zumindest zeitweiligen Bewohner der Altenburg dürften im Gegensatz zu den Einwohnern großer Fürstensitze wie dem Glauberg bei Büdingen oder der Heuneburg bei Sigmaringen überwiegend von der Landwirtschaft gelebt haben. Sie konnten sich kaum die in jener Zeit so begehrten Luxusgüter aus Griechenland, Italien oder aus dem Rhônedelta leisten. Trotzdem: Ihre Lebenserwartung lag mit 25 bis 40 Jahren für Männer und 30 bis 35 Jahren für Frauen deutlich höher als in der Bronzezeit. Ihre Körperhöhe (Männer im Schnitt 1,72 m, Frauen 1,60 m) legt nahe, dass sie sich gut ernährten.
Über mehrere Jahrzehnte dürfte dieses Konzept für die Altenburg und ihr Umland aufgegangen sein. Die Zerstörung der Pfostenschlitzmauer durch Schadfeuer belegt jedoch, dass um 440 v. Chr. das Ganze ihr Ende fand. In dieser Zeit bestimmte die griechische Kultur ganz Europa. In ihr verfassten Sophokles und Aischylos ihre Dramen, bereiste der Geschichtsschreiber Herodot den vorderen Orient und errichtet man die heute noch erhaltenen Tempel im süditalienischen Paestum.
nach: Harald Rosmanitz, Die C-14-Datierung des Ringwalls, in: Heimat- und Geschichtsverein Sulzbach und Leidersbach, Harald Rosmanitz (Hg.), Die Altenburg zwischen Sulzbach und Leidersbach, Neustadt a. d. Aisch 2012, S. 90–94.