Über das Leben der Kinder schweigen sich Bild- und Schriftquellen im hohen Mittelalter weitgehend aus. Erst die bei archäologischen Erforschungen in Burgen und in Städten gefunden Spielzeuge ermöglichen einen Einblick in die Vorstellungswelt der Kinder. Die Bandbreite des bislang bekannten Spielzeugs beschränkt sich erhaltungsbedingt überwiegend auf keramische, gläserne oder metallene Gegenstände. Unter Bedingungen, die eine Feuchtkonservierung von Holz begünstigen, wie etwa in Danzig, Lübeck, Wismar oder Nowgorod, konnten auch geschnitzte Steckenpferdchen, Holzkreisel, kleine Schwerter, Schiffchen, Puppen und sogar ein Miniaturpflug und eine Kinderarmbrust geborgen werden. Um ein Vielfaches größer muss die Zahl der Spielsachen aus vergänglichem Material wie Stoff, Leder, Stroh und ähnlichem gewesen sein, sieht man einmal davon ab, dass der kindlichen Phantasie ziemlich alles zum Spielen geeignet erscheint.

Insgesamt wurden drei Pferdefigürchen auf dem "Alten Schloss" gefunden. Wenn auch nur noch bei zweien erkennbar, waren sie ursprünglich alle gelb oder braun glasiert.

Insgesamt wurden drei Pferdefigürchen auf dem „Alten Schloss“ gefunden. Wenn auch nur noch bei zweien erkennbar, waren sie ursprünglich alle gelb oder braun glasiert.

Das Bild des mittelalterlichen Kinderlebens hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend geändert. Gerade keramisches Spielzeug wie Kruselerpüppchen oder Miniaturgefäße überraschen durch ihre qualitätvolle und liebevolle Ausgestaltung. Anlehnungen an der Erwachsenenwelt sind prägend für das aufgefundene Spielzeug. Neben Geschicklichkeitsspielen stand das Nachahmen höfischen Treibens mit Rittern, Burgfräuleins und feurigen Schlachtrössern hoch im Kurs.

Beipielhaft für die drei bislang auf dem „Alten Schloss“ in Kleinwallstadt ergrabenen Spielzeigpferdchen sei im Folgenden jenes beschrieben, das im Mai 2006 in dem der Ringmauer vorgelagerten Graben geborgen werden konnte (Bildergalerie unten Mitte). Es lag in einer Grabenverfüllung, die durch Keramikfragmente in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts datiert wird.

Das Pferdchen, von dem lediglich drei Beine abgebrochen sind, ist 4,0cm hoch, 5,5cm lang und noch 2,5cm breit. Es besteht aus weißer, sehr fein gemagerter Irdenware und war ursprünglich gelb (?) glasiert. Die Keramik wurde aus einem kleinen Tonbatzen ausgeformt. Details wie Ohren oder Schweif sind nur flüchtig angedeutet. Auf der Höhe der Schultern, unmittelbar über den Vorderbeinen, finden sich eine horizontale, an den Enden konisch erweiterten Durchbohrung von 0,4cm Durchmesser. Sie wurde bereits im lederharten Zustand angebracht und diente vermutlich zur Anbringung einer Schnur. Der Töpfer durchbohrte das Pferd von dessen linker Flanke aus. Dabei kam er an der rechten Seite etwas zu weit oben heraus. Er musste diesen Fehler mit einem zweiten Durchstich korrigieren.

Wie die Stücke nach ihrer Restaurierung aussehen, erfahren Sie, wenn Sie auf die Bilder klicken.

Spielzeugpferdchen aus dem 12. bis 15. Jahrhundert sind aus Deutschland von zahlreichen Ausgrabungen bekannt. So stammt ein ähnliches Stück aus der Dahlbergstraße in Aschaffenburg. Im Gegensatz zu den meisten vergleichbaren Stücken fehlt die Aushöhlung an der dicksten Stelle, im Bauch- oder Brustbereich. Diese verlieh der Keramik zusätzliche Stabilität und verhinderte bereits beim Brand das Entstehen von kleinsten Rissen, die später unweigerlich zum Zerbrechen des Spielzeugs geführt hätten. Glasierte Miniaturpferdchen wurden in jener Zeit in Töpferorten wie dem hessischen Großalmerode oder dem südniedersächsischen Coppengrave gefertigt, deren Geschirre weit über die Region hinaus verhandelt wurden. Allerdings sind entsprechende Spielzeuge auch aus Ortstöpfereien bekannt.

Wahrscheinlich bei gleichen Töpfer oder Händler erwab der Burgherr von der Wahlmich ein ähnliches Stück. Dieses wurde bei den dortigen Grabungen im Jahre 2018 entdeckt.

Bei Grabungen auf der Burg Bartenstein im Jahre 2016 kam ebenfalls ein Fragment eines Spielzeugpferdchens zu Tage. Im Gegensatz zu den Pferdchen aus Kleinwallstadt ist das Partensteiner Stück unglasiert und dem Befund zufolge auch mindestens fünfzig Jahre jünger.

In dem um 1515 entstandenen "Weisskunig" ist ein Miniatur-Ritterturnier dargestellt, ein sogenanntens "Festanzogenrennen". Ähnlich kann man sich das Spiel mit dem keramischen Pferdchen vom "Alten Schloss" in Kleinwallstadt vorstellen.

In dem um 1515 entstandenen „Weisskunig“ ist ein Miniatur-Ritterturnier dargestellt, ein sogenanntens „Festanzogenrennen“. Ähnlich kann man sich das Spiel mit dem keramischen Pferdchen vom „Alten Schloss“ in Kleinwallstadt vorstellen.

Häufiger als diese einfachen Ausführungen kommen Pferde mit Sattel und/oder Reiter vor. Auch wenn Sattel, Zaumzeuge, Rüstungen, Schilde und Helme oft nur vage angedeutet und in primitiver Weise ausgeführt sind, spiegeln diese Figuren doch ein Stück mittelalterlicher Kulturgeschichte: Reiter, Ritter und Turniere waren im Hochmittelalter greifbare Realität. Wie beim Steckenpferd so ließen sich auch mit solchen Pferdchen Ritterspiele trefflich nachspielen. Wie man sich dies vorzustellen hat, erkennt man auf einer Darstellung im „Hortus deliciarum“ der Äbtissin Herrad von Landsberg. Eine Bebilderung in der am Ende des 12. Jahrhunderts entstandenen Handschrift zeigt zwei kämpfende Ritter en miniature, die von zwei Kindern an Schnüren marionettenartig bewegt werden. Im Bayerischen Nationalmuseum in München und im Kunsthistorischen Museum in Wien haben sich spätgotische Spielzeug-Turnierpferde aus Metall erhalten. Auf ihnen sitzt je ein Reiter, in voller Rüstung, mit Schild und Lanze. Derart wertvolles Spielzeug war den Kindern von Fürsten und Königen vorbehalten, die sich damit spielerisch mit ihren zukünftigen Aufgaben vertraut machten. Weniger begüterte Eltern schenkten Ihren Kindern ein ähnliches Equipment – allerdings aus Keramik.

Es spricht vieles dafür, dass auf den kleinen Spielzeugpferdchen vom „Alten Schloss“ in Kleinwallstadt ursprünglich ein ebenfalls handgeformter Reiter aus Keramik saß. Viele dieser Reiterfiguren hatte in der Armbeuge eine Aussparung, die die man eine hölzerne Miniaturlanze einstecken konnte. Mit Hilfe der an den Pferdebrüsten befestigten Schnüren konnten zwei Kinder je einen ähnlich gearbeiteten Ritter zu Pferde in eine Miniaturgestech führen. Derjenige ging als Sieger hervor, dem es gelang, den losen aufgesetzten Reiter seines Gegenspielers abzuwerfen.

Weiterführende Literatur:

Hartmut Enders, Ein Spielzeugpferd aus Keramik, in: Ingolf Ericsson u. Hans Losert (Hg.), Aspekte der Mittelalterarchäologie. Festschrift für Walter Sage. Bamberger Schriften zur Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit 1 (Bamberg 2003), S. 113f.
Stefan Gerlach, Weitere spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Tonfiguren aus Unterfranken. Beiträge zur Archäologie in Unterfranken 2000. Mainfränkische Studien 67, 2000, S. 237-244.
Andreas Heege, Ritter – Pferde – schöne Damen, in: Andreas Heege (Hg.), Einbeck im Mittelalter. Eine archäologisch-historische Spurensuche. Studien zur Einbecker Geschichte 17 (Oldenburg 2002), S. 318-321.
Claudia Holze-Thier, Kinderspiele im mittelalterlichen Warburg, in: Bendix Trier (Hg.), Mittelalterliches Leben an der Klockenstraße. Eine Dokumentation des Westfälischen Museums für Archäologie zu den Ausgrabungen 1991 in der Warburger Altstadt (Warburg 1995), S. 128-132.
Judith Oexle, Minne en miniature. Kinderspiel im mittelalterlichen Konstanz, in: N. Flüeler (Hg.), Stadtluft, Bettelmöch und Hirsebrei. Die Stadt um 1300 (Stuttgart 1992), S. 392-395.
Elke Waterstrandt, Kinderspielzeug im Mittelalter, in: Bendix Trier (Hg.), Ausgrabungen in Minden. Bürgerliche Sachkultur des Mittelalters und der Neuzeit (Münster 1987), S. 147-154.