Die Bebauung der Burg auf Grundlage der Befunde
Die untersuchten Befunde lassen sich in drei zeitlich differenzierte Perioden einteilen1: Die erste Periode wird durch eine Grube in Schnitt 6 nachgewiesen. Sie liegt unter der Südecke der Ringmauer und reicht 230cm unter dem hochmittelalterlichen Laufhorizont. Aus ihr konnten einige nicht scheibengedrehte Keramikfragmente geborgen werden, die sich aufgrund vergleichbarer Keramik von der Burg auf dem Gräfenberg in Hösbach-Rottenberg in den frühmittelalterlichen Zeitraum datieren lassen. Angesichts dieser Grube stellt sich die Frage, inwieweit die hochmittelalterliche Burg einen völligen Neubau, oder aber die Reaktivierung einer älteren Befestigung darstellte. Auch wäre zu überlegen, ob die östlich der Anlage vorgelagerte Vorburg mit ihrer Wall-Graben-Anlage auf hochmittelalterliche Baumaßnahmen zurückgeht oder ob man auch hier bereits vorher bestehende Befestigungsreste neu belebte.
Periode 2a markiert die Errichtung der hochmittelalterlichen Burganlage. Wichtig ist dabei vor allem die Ringmauer, welche den gesamten oberen Burgbereich umschließt. Sie war bereits zu Beginn der Grabungen auf der gesamten östlichen Hälfte des Plateaus der Oberburg sichtbar. Sie umschloss polygonal einen Bereich mit einer Innenweite von ca. 45 auf 39 Metern. Die Ringmauer war sehr sorgfältig aufgearbeitet, zweischalig und in der Regel 160cm mächtig. Sowohl die äußere als auch die innere Schale besteht aus 20 bis 40cm breiten, bis zu 20cm hohen und bis 40cm tiefen Sandsteinen. Dazwischen befindet sich eine im Fischgrätenverband liegende, eng in Mörtel gesetzte Stückung aus etwa faustgroßen Sandsteinen. Bei ihrem Bau war eine breite Fundamentgrube notwendig, die so gut wie keine Maueraushubgrube hinterließ. Die Fundamente wurden ohne Gründungen direkt auf den gewachsenen Lehm gesetzt, wobei die untersten fünf Steinlagen bis auf eine Höhe von 80cm bis zu 10cm vorkragen.
Zum besseren Verständnis des Gewerks sollte man sich vor Augen halten, dass jeder der Steine aus mehrere Kilometer von der Burg entfernt liegenden Steinbrüchen herangeschafft werden mussten. Dies dürfte einer der Gründe gewesen sein, dass die Steine in leicht handhabbaren Formaten angeliefert wurden und die andernorts vorkommenden Buckelquader hier fehlen. Der Weg den der ungelöschte Kalk für die Zubereitung des Mörtels zurücklegen musste, war dagegen wesentlich länger. Daher ist es verständlich, dass man sich darum bemühte, möglichst mörtelsparend zu bauen. Man versetze die Mauersteine des Fundaments in einem Lehm-Sand-Gemisch. Die Steine des aufgehenden Mauerwerks liegen hingegen in einem Mörtelbett.
In den Schnitten 5, 6, 12 und 13 wurde festgestellt, dass das aufgehende Mauerwerk in seiner Orientierung bis zu 20cm von der ursprünglich durch die Fundamente vorgegebenen Ausrichtung abweicht. Die bei den Nachuntersuchungen 2009 zutage getretenen Mauerverstärkungen im Nordosten und im Süden zeigen, dass man die Mauerecken gezielt mit breiten Innenstützen verstärkte.
Der Mauerversturz zwischen der Ringmauer und der ihr vorgelagerten Zwingermauer in Schnitt 7 im Südwesten der Oberburg gibt uns eine vage Vorstellung von der ehemaligen Höhe der Mauer, die an dieser Stelle annähernd zehn Meter betragen haben dürfte.2 Auf der Mauerkrone befand sich ein hölzerner und mit Ziegeln gedeckter Wehrgang, der durch zahlreichen Ziegelbruch an der verstürzten Mauer nachgewiesen werden konnte.
Vor der Ringmauer hatte man östlich der Oberburg einen Spitzgraben ausgehoben. Von der Ringmauer fällt die Böschung steil zum Graben ab. Daher wurde sie in ihrem unteren Drittel zum Schutz vor zu schneller Erosion durch plattige Sandsteine abgedeckt. Der anlässlich der Nachuntersuchung 2009 freigelegte, mindestens drei Meter breite Laufhorizont außerhalb des östlichen Segments der Ringmauer legt nahe, dass an dieser neuralgischen Stelle eine vorgelagerte Zwingermauer existiert haben dürfte. Sie gab dem Fundament der Ringmauer zur steil in den Graben abfallenden Böschung hin zusätzlichen Halt. Nach Auflassung der Burg wurde der Graben sehr schnell durch Schutt und Erosion praktisch vollständig verfüllt.
Bereits zwei Jahre zuvor konnte im Südwesten der Burg in Schnitt 7 ein der Ringmauer vorgelagertes Verteidigungswerk ergraben werden. Im Gelände ist auch heute noch eine Rampe erkennbar. Die mit einer massiven Außenmauer befestigte Torrampe begann wahrscheinlich mit einer äußeren Toranlage am Hügelfuß südöstlich der Oberburg. Nachdem sie gut zwei Drittel des Burghügels umrundet hatte, führte die Rampe wahrscheinlich im Nordnordosten der Anlage zu einem Tor in der Ringmauer. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Burg zum Zeitpunkt ihrer Niederlegung vollständig wehrfähig war. Gleichzeitig hatte man dagegen die Innenbebauung wohl noch nicht ganz, wie ursprünglich geplant, ausgebaut.
Es gibt Hinweise für eine – wenn auch eher provisorische – Innenbebauung: In Schnitt 2 konnte ein zweischaliges, ca. 60cm breites Fundament dokumentiert werden. Es entspricht in seiner Struktur der Ringmauer. Dieses, für einen Steinbau zu schwache Fundament gehörte zu einem mindestens zweistöckigen, ziegelgedeckten Fachwerkgebäude, dessen Giebel nach Westen zum Innenhof gerichtet war. Durch hochwertige Kleinfunde wie Becherkacheln, dekorierte Keramik und Fensterglas lässt es sich als repräsentativen Bau ansprechen.3 Der Fassade vorgelagert war ein kleines Gräbchen, in das vielleicht Regenwasser abgeleitet werden konnte. Im Westen schließt ein mit kleinen Sandsteinen und Sandsteingeröll gepflasterter Hof an. Durch weitere, ebenfalls hochwertige Kleinfunde aus den Schnitten 8 und 12 kann sich mindestens ein steinernes Gebäude sowie ein weiteres, ähnlich gut ausgestattetes Fachwerkgebäude vermuten lassen.4
Im Erdkeller des zweiten Fachwerkhauses, einem grubenartigen Befund an der topographisch tiefsten Stelle der Oberburg, wurden mehr als 80 Prozent des gesamten Fundgutes geborgen. Die Inventarspanne reicht dabei von Koch- und Trinkgefäßen, wie Becher und Tüllenkannen, über zwei keramische Dreibeine, Flach- und Hohlglas, bis zu Becherkacheln. Das Vorhandensein von insgesamt mindestens drei gleichartigen Kachelöfen in verschiedenen Häusern spricht für eine ganzjährige Bewohnbarkeit der Anlagen.
Als weiterer Bestandteil der Innenbebauung sollte noch ein kleiner, kellerartiger Befund in Schnitt 10 erwähnt werden. Trocken gesetzte Mauern umfassen einen 150cm auf 50cm messenden Innenraum mit einer treppenartigen Struktur. Eine funktionale Ansprache ist kaum möglich. Im Vergleich mit einem gleichartigen Befund auf der Ketzelburg bei Haibach bietet sich am ehesten noch eine Nutzung im Bereich der Landwirtschaft an.5
In der Periode 2b dürften die ursprünglichen Bauvorhaben im Burginneren zumindest in Teilen vollständig über den Haufen geworfen worden sein. Deutlich wird dies in der Aufgabe eines nur in Fundamenten angelegten Turmes. Diese haben sich in Form von zwei, an die Ringmauer innen ansetzenden und mit dieser sich verzahnenden Fundamentstümpfen in den Schnitten 2 und 5 bis heute erhalten. Sie lassen sich schon alleine aufgrund der Dimensionierung ihrer Baukörper keinesfalls mit den bereits erwähnten Ringmauerstützen im Norden und Südosten vergleichen. Demnach beabsichtigte man ursprünglich, auf dem „Alten Schloss“ einen Turm mit einer Innenraumbreite von etwa sieben Metern zu errichten, wobei die Ostwand gleichzeitig einen Teil der Ringmauer gebildet hätte. Wohl wegen der schlechten Bodenverhältnisse sanken Teile des Fundaments schon während des Baus ein. Der Turm wurde deshalb nie ausgeführt, sondern stattdessen ein Fachwerkbau mit vergleichsweise schwachen Steinfundamenten angelegt.6
Die Zerstörung der Anlage in der Periode 3 erfolgte im zweiten Drittel des 13. Jahrhunderts allem Anschein nach außerordentlich systematisch. Dies erschließt sich einerseits aus dem homogenen Fundmaterial und andererseits aus der hangabwärts freigelegten, verstürzten Mauer und deren stratigraphischer Einbindung. Holzkohlenreste in den untersten verstürzten Steinlagen sprechen ebenso wie bis zu kopfgroße Stücke verziegelten Hüttenlehms davon, dass zuerst sämtliche hölzernen Bestandteile im Burginnern in Brand gesetzt wurden. Dem Brand fielen auch die hölzernen Wehrgänge auf der Ringmauer zum Opfer. In einem zweiten Schritt entfernte man an der äußeren Schale der Mauer auf breiter Front eine vollständige Lage Steine und setzte in die so geschaffene Lücke Holzstempel ein. Beim Niederbrennen dieser provisorischen Stütze stürzten dann große Teile der Ringmauer nach außen.7
Wie gründlich man beim Einebnen der Burg vorging, zeigt sich in Schnitt 6. Hier konnte unterhalb der südlichen Ecke der Ringmauer eine burgzeitliche Ausbruchgrube freigelegt werden. Sie wurde in den rötlichen sandigen Lehm eingetieft und war mit dem Versturz der ursprünglich darüber liegenden Ringmauer bis auf Sohltiefe angefüllt. Einige der herabgestürzten Steine weisen deutliche Brandspuren auf. Bei der Grube handelt es sich um die Reste eines Stollens, der, von der Burgaußenseite her, von Süden nach Norden an einer strategisch außerordentlich sensiblen Stelle unter die Ringmauer vorgetrieben wurde. Der bis auf Höhe der Innenschale der Ringmauer reichende Stollen wurde – wie die erhaltenen Werkzeugspuren zeigen – mit drei verschiedenartigen Werkzeugen vorgenommen. Zuerst grub man mit einem spitzhakenartigen Werkzeug eine etwa handtiefe, der Grubenkante folgende Rille in den Lehm. So entstand eine Struktur, die einem Buckelquader nicht unähnlich ist. Als nächstes wurde mit einer Hacke, deren Blatt eine Breite von mindestens 20cm hatte, das überhängende Erdreich beseitigt. In einem letzten Schritt begradigte man die Grubenwände mit Hilfe eines mistgabelartigen Werkzeugs. Einhergehend mit dem Tunnelvortrieb erfolgte ein Verbau mit Holz. Nach getanem Werk wurde die stützende Holzkonstruktion angezündet und somit die darüber liegende Mauerkonstruktion zum Einsturz gebracht.
Das Vorgehen beim Schleifen des „Alten Schlosses“ kann als extrem gründlich bezeichnet werden. Indem man stellenweise sogar die Fundamente zum Einsturz brachte oder ausriss, schuf man für die kommenden Generationen unumstößliche Fakten. An Wiederinbetriebnahme war nicht zu denken. Bei einem Neubau hätte man zuerst mühevoll die restliche Bausubstanz ausbrechen müssen. Letztlich verdanken wir alleine dieser Tatsache den Umstand, dass die nur vergleichsweise kurz bewohnte Burg trotz der Grabungen der letzten beiden Jahrhunderte fast wie in einer Zeitkapsel als nahezu unversehrtes Bodendenkmal die Jahrhunderte überdauern konnte.
Indem man die Ringmauern etwa einen Meter unterhalb des mittelalterlichen Laufhorizonts der Burg zum Einsturz brachte, lagerte sich bald schon der aus dem Burginneren herausgeschwemmte Lehm über den Steinen an. Er überdeckte den Versturz in seiner ursprünglichen Lage. Die Burg war schon nach wenigen Monaten vollständig aus dem Landschaftsbild getilgt. Die verstürzten und größtenteils noch im Verbund liegenden Mauern blieben bis ins 18. Jahrhundert von Erde überdeckt. So ist es nicht verwunderlich, wenn auf den Kartenwerken zum Spessart vom Ende des 17. Jahrhunderts bis ins 18. Jahrhundert die Burgstelle keine Erwähnung findet. Auch nach einer ersten, wie wir heute wissen vergleichbar oberflächlichen „Ausbeutung“ der Mauersteine am Ende des 18. Jahrhunderts zur Errichtung der Kirche und des Pfarrheims in Kleinwallstadt, blieben die Steinpackungen auf dem „Alten Schloss“ weitgehend unangetastet. Dazu war der Aufwand der Steinentnahmen im Vergleich zur Ausbeutung nahegelegener Steinbrüche zu aufwendig, musste für die Abfuhr des Materials doch ein langer Weg und kaum zu bewältigende Steilen in Kauf genommen werden. Zudem waren bei der Steinentnahme inzwischen große Erdmengen bei Seite zu räumen. Auf der Grundlage unserer Untersuchungen können wir davon ausgehen, dass sich 80 bis 90 Prozent der verstürzten Mauern auch heute noch in situ an den Hängen um die Burg erhalten haben.
Weiterführende Literatur:
Christine Reichert, Harald Rosmanitz, Das „Alte Schloss“ bei Kleinwallstadt am Untermain, in: Georg Ulrich Großmann (Hg.), Die Burg zur Zeit der Renaissance. Forschungen zu Burgen und Schlössern 13 (Berlin/München 2010), S. 213–225.
Harald Rosmanitz, Burgenforschung im Spessart. Das „Alte Schloss“ in Kleinwallstadt, in: Beiträge zur Archäologie in Unterfranken 2009, S. 243–286.
Harald Rosmanitz, Partenstein 2015
- Rosmanitz (2009), S. 259.
- Ursprünglich wurde die Höhe der Ringmauer anhand des Mauerversturzes in dem östlich der Oberburg vorgelagerten Graben (Schnitt 3/4) rekonstruiert (Rosmanitz (2009), S. 262). Die Grabungen von 2009 zeigten jedoch, dass zwischen Ringmauer und Graben eine Zwingermauer gestanden haben dürfte. Möglicherweise gehört der Mauerversturz in Schnitt 3/4 demnach nicht zur Ringmauer, sondern zur vorgelagerten Zwingermauer.
- Rosmanitz (2009), S. 266
- Von einem in Fachwerktechnik errichteten Holzgebäude im Westen der Oberburg konnte 2007 ein Teil des Erdkellers ergraben werden (Rosmanitz (2009), S. 267). Ein weiteres Gebäude dürfte im Südosten unmittelbar an die Ringmauer angebaut worden sein (östlich von Schnitt 12). Mauerausbruchgruben deuten darauf hin, dass dieses Gebäude über steinerne Mauern verfügte, die jedoch später vollständig ausgebrochen wurden. Die Wertigkeit dieses Gebäudes kommt auch in der sorgfältigen Scharierung der Sandsteine der Innenschale der Ringmauer in jenem Bereich zum Ausdruck. Sie war ursprünglich gleichzeitig die Rückwand des besagten Gebäudes. Weitere Aussagen zu diesem zentralen Bauwerk des „Alten Schlosses“ sind nicht möglich, da es bislang nur in kleinen Ausschnitten untersucht wurde.
- Rosmanitz, Harald, Die archäologischen Untersuchungen auf der Ketzelburg – Ein Überblick. In: Rosmanitz (2006), S. 55-70, bes. S. 65-67; Rosmanitz (2009), S. 268.
- Rosmanitz (2009), S. 268f.
- Rosmanitz (2009), S. 270-272.