Lit Streifzug 05


Kurt Tucholsky
(Berlin 1890 – Hindås 1935)

Wanderung durch den Spessart (1927), veröffentlicht in „Panter, Tiger und Co.“

Lichtenau; Sonnabend.

Die Perle des Spessarts. Dies ist nicht das Wirtshaus im Spessart, das liegt in Rohrbrunn – aber wir benennen das um. Hier ist es richtig…Dies ist eine alte Landschaft. Die gibt es gar nicht mehr; hier ist die Zeit stehen geblieben. Wenn Landschaft Musik macht: dies ist ein deutsches Streichquartett. Wie die hohen Bäume rauschen, ein tiefer Klang; so ernst sehen die Wege aus… Um uns herum rauscht der abendliche Parkwald. …

 … Wir schmecken einmal, zweimal, dreimal. „Dieser Wein“, sage ich als alter Kenner, „schmeckt nach Sonne“. – „Und nach dem Korken!“ sagen die beiden anderen gleichzeitig. Herr Wirt! Drohend naht er sich. Nun heißt´s Mut gezeigt! Auf und dran! „Herr Wirt… es ist nämlich… also probieren Sie mal den Wein!“ – Er weiß schon, was ihm blüht. Und redet in Zungen, ganz schnell. „ Wo ist der Korks? Erst muss ich den Korks haben! Zuerst den Korks!“ Der „Korks“ wird ihm gereicht – er beriecht ihn, er schnuffelt an der Flasche, er trinkt den Wein und schmeckt ab; man kann es an seinen Augen sehen, in denen seltsame Dinge vorgehen. Urteil: Ich hab´ gleich gesehen, dass die Herren keine Bocksbeuteltrinker sind! Der Wein ist gut.“ Berufung… „Der Wein ist gut!“ – Revision… „…ist gut!“ Raus. Da sitzen wir nun. Ein mitleidiger Gast, der bei dem Wirte wundermild zur Kur weilt, sieht herüber. „Darf ich einmal versuchen?“ Er versucht. Und geduckten Rückens sagt dieser Feigling: „Meine Herren, der Wein schmeckt nicht nach dem Korken! Wenn er nach dem Korken schmeckt, dann möpselt es nach -!“ Natürlich möpselt es. Wir hatten keine Ahnung, was das Wort bedeutet – aber es ging sofort in unseren Sprachschatz über. Jeder Weinkenner muss wissen, was „möpseln“ ist. Aus Rache, und um den Wirt zu strafen, trinken wir noch viele, viele Flaschen Steinwein, von allen Sorten, und alle, alle schmecken sie nach Sonne.

 

Lichtenau; Sonntag.

Bei uns dreien möpselt es heute heftig nach.

 

Wer kennt Odenwald und Spessart?

Was ein richtiger Deutscher ist, so kennt der sein Italien und Sizilien und die Riviera und Schweden und Norwegen… aber ob er auch sein eigenes Land genau kennt, das steht noch dahin… Es ist keine Leierkastenpoesie in dieser Landschaft, und die dummen Kitschlieder haben im Grunde nichts mit dem Odenwald, nichts mit dem Spessart, nichts mit den südlichen Waldgebirgen zu tun. Wer zwischen dem Dreieck: Frankfurt – Würzburg – Heidelberg einmal langsam mit dem Auto reist oder zu Fuß wandert, der hat an Wein, Städtchen und Wäldern ein Erlebnis, das ihn ins Mark Deutschlands führt, in jenes Deutschland, das der Deutsche nicht so gut kennt, wie es das verdient.