Lit Streifzug 19


Hans Traxler
(* Herrlich 1929)

Die Wahrheit über Hänsel und Gretel (1963)

Im Januar 1945, als die Ostrfront täglich näher rückt, wird er mit seiner Schulklasse in die Gegend von Aschaffenburg in Bayern evakuiert. Am 5. April schreibt er in sei Tagebuch: „Natürlich habe ich meinen Grimm immer bei mir, stammen doch die meisten seiner Märchen aus dieser Gegend. Kein Wunder bei diesem Wald! Übrigens steht das Jugendhaus der Brüder nicht weit von hier, in Steinau. Ich habe es neulich besucht, es sind gut drei Stunden Fußmarsch. Ein rechtes Märchenhaus . . .“

Ein paar Tage später folgt die entscheidende Eintragung: „Ich scheine da einer Sache auf der Spur zu sein. Unser Bauer, bei dem wir einquartiert sind, sagt immer, wenn ich mit meinen Jungens zum Kräutersammeln in den Gemeindewald gehe, wir sollten uns bloß vorsehen, das wäre der Hexenwald und der hieße nicht umsonst so. Der Bauer ist ein rechter Schalk und liebt solche Spaße. Ich habe ihn aber trotzdem nachher ganz ernsthaft gefragt, wie er denn zu der Bezeich­nung käme. Er hat aber nur mit der Schulter gezuckt und gesagt, so lange er denken könne, wäre das immer nur der Hexenwald gewesen und sein Großvater hätte ihm erzählt, weit drin stünde ein Hexenhaus, das hätte er selber noch gesehn. Dörflicher Aberglaube? Eigentlich habe ich jetzt Zeit genug, der Sache mal nachzugehen.“ Nun, dazu sollte es nicht mehr kommen. Drei Tage später marschierte ein amerikanisches Vorauskommando durch das kleine Dorf im Spessart. Der Krieg war zu Ende…

Da meldete sich das Schicksal wieder. Anfang 1962 erhielt Georg Ossegg gleichzeitig mit seiner Beförderung seine Versetzung an ein Aschaffenburger Gymnasium. Nun war er in der gleichen Gegend, die er vor siebzehn Jahren verlassen hatte. Zu Fuß durchstreifte er jetzt fast jedes Wochenende den Spes sart. Eines Tages kam er auch in das Dorf, in das er kurz vor Kriegsende evakuiert worden war. Aber – eine seltsame Scheu schien ihn jetzt davor zurückzuhalten, die Spur von damals zu verfolgen. Diesmal wollte er sicher gehen. Georg Ossegg beschloss, etwas zu tun, was vor ihm niemandem eingefallen war: er las das Märchen von Hänsel und Gretel, als ob es ein Tatsachenbericht sei.