Mainz oder Rieneck – Wer errichtete die Burg auf dem Gräfenberg?

In einigen schriftlichen Quellen des 13. Jahrhunderts wird die Rieneckerfestung „Landesehre“ erwähnt. Diese Quellen stehen mit den Auseinandersetzungen der Grafen von Rieneck mit dem Bistum Mainz in Verbindung. Daher ist in der Forschung immer wieder die Vermutung geäußert worden, bei den Ruinen handele es sich um die Überreste der Rieneckerfestung Landesehre. So nahm Albert Klein bereits 1938 an, dass sich die Burg entweder südlich von Haibach oder eben auf dem Gräfenberg befunden habe.1 Spätere Autoren wie Claus Cramer2, Günter Christ3 oder Ernst Pfahler4 übernahmen diese Vermutung. Theodor Ruf platzierte die Landesehre in seiner Dissertation zu den Rieneckern im Jahre 1984 ebenfalls auf dem Gräfenberg. Das Gründungsdatum verlegte er jedoch anhand der Ausdehnung der Burg und von Bodenfunden mehrere Jahrzehnte zurück. Zudem vermutete Ruf aufgrund einiger Funde, dass die Festung, obwohl ihrer Wehrhaftigkeit beraubt, auch noch nach 1261 genutzt wurde.5

Bis zum Ende der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts konnten die Rienecker ihr Herrschaftsgebiet im Spessart durch eine geschickte Heirats- und Expansionspolitik erweitern. Grundlage der territorialen Expansion waren befestigte Burgen. So errichtete man die erstmals 1179 erwähnte Burg Rieneck an der Sinn im heutigen Unterfranken zur Kontrolle der Birkenhainer Straße. Dieses Gebiet gehörte auch zur Interessensphäre von Würzburg und Fulda. Die Burg Rieneck markiert somit einen deutlichen Anspruch der Rienecker in dieser Region gegenüber ihren Konkurrenten. Weitere Siedlungs- und Burggründungen an strategisch wichtigen Punkten des Spessarts folgten. In diesem Zusammenhang ist auch die Errichtung der Burg Landesehre bei Hösbach-Rottenberg zu sehen.6 Wirtschaftliche Grundlage dieser Expansionspolitik bildeten die bäuerlichen Abgaben, die florierenden Siedlungen, Zölle, Einnahmen aus Forst- und Landwirtschaft, Bergbau und nicht zuletzt die Einnahmen aus der Eisen- und Glasproduktion.7

Die Expansionsbestrebungen der Rienecker führten schließlich zum Konflikt mit dem Bistum Mainz, das ebenfalls am Spessart interessiert war. Besonders Rodungen und der bereits erwähnte Bau von Befestigungsanlagen durch die Rienecker auf Territorien, die das Bistum für sich beanspruchte, waren den Mainzern ein Dorn im Auge.8 Weiteres Konfliktpotenzial barg die Tatsache, dass die Grafen von Rieneck dem Bistum Mainz vermutlich bereits seit dem 12. Jahrhundert lehenspflichtig waren. Nach der Trennung der Grafschaftsteile Loon und Rieneck versuchte man, sich so weit wie möglich aus der Lehnshoheit der Mainzer zu lösen.9

Die Landesehre

Im Zuge der rieneckischen Expansionspolitik wurde, wie schon erwähnt, auch die Festung Landesehre errichtet. Wie die nun folgenden Urkunden belegen, konnte sich Mainz schließlich gegen die Grafen durchsetzen. Im Jahre 1260 wurde ein Vertrag zwischen dem Bistum Mainz und den Grafen von Rieneck geschlossen, in dem sich die Rienecker verpflichten mussten, keine Befestigungsanlagen außerhalb ihres Territoriums zu errichten.10 In einer zweiten, auf den Juli 1261 datierten Urkunde wird dieses Bauverbot auch auf rieneckisches Gebiet ausgeweitet. Die Urkunde deutet darauf hin, dass das Bistum nun nicht nur die Errichtung weiterer Burgen verbot, sondern dass es auch nicht bereit war, schon existierende Anlagen der Rienecker außerhalb von deren Gebieten hinzunehmen.11 In diesem Zusammenhang wird die Burg Landesehre namentlich genannt und als bereits geschleifte Befestigung bezeichnet.12 Dem vorangehend wird zudem auch eine neu errichtete Festung bei Aschaffenburg erwähnt.13 Es ist zu vermuten, dass es sich hierbei ebenfalls um die Festung Landesehre handelt, auch wenn dieser Zusammenhang in der Urkunde nicht konkret genannt wird.14

Wie bereits bemerkt, lässt sich zwar anhand dieser Dokumente die Erbauungszeit der Burg Landesehre nicht genau bestimmen, da jedoch die Urkunde von 1261 von einer neu errichteten Festung spricht, ist davon auszugehen, dass sie um die Mitte des 13. Jahrhunderts entstanden sein muss. Die Schleifung der Anlage lässt sich hingegen genauer datieren, da die Urkunde von 1261 erwähnt, dass zu dieser Zeit Werner von Eppstein das Amt des Mainzer Bischofs bekleidete (1259-1284). Das Episkopat des Werner von Eppstein beginnt im Oktober 1259. Somit kann die Zerstörung der Burg Landesehre in den Zeitraum zwischen dem Amtsantritt Werners von Eppstein und der Ausstellung der Urkunde im Juli 1261 eingeordnet werden.15 Erstaunlich präzise war die Einschätzung des Hauptkonservators Hock, der schon 1928 vermutete, dass „die Burg […] bereits um 1260 geschleift und aufgegeben worden zu sein“ scheint.16

Die Untersuchung der Burg auf dem Gräfenberg ist sowohl von archäologischer als auch archivalischer Seite lohnenswert. Gleichzeitig verhindern die starken Zerstörungen durch die Steinbrucharbeiten seit dem 18. Jahrhundert eine letztlich verbindliche Rekonstruktion der Anlage. Auch die spärliche Erwähnung der Burg in den schriftlichen Quellen erschwert ihre Erforschung. Dennoch lassen sich auf Grundlage der archäologischen Untersuchungen 2007 sowie auf Grund des ebenfalls 2007 erschlossenen Aktenkonvoluts aus dem Hauptstaatsarchiv Würzburg wesentliche Aussagen zum ursprünglichen Aussehen und zur Geschichte des Burgstalls treffen:

Es ist davon auszugehen, dass es sich bei den Ruinen auf dem Gräfenberg mit hoher Wahrscheinlichkeit um die Rieneckerburg Landesehre handelt. Aus den schriftlichen Quellen des 13. Jahrhunderts wird klar, dass die Burg Landesehre um die Mitte des 13. Jahrhunderts entstanden sein muss. Ebenfalls überliefert ist, dass sie in dem Zeitraum 1259-1261 nach der Niederlage der Rienecker gegen das Bistum Mainz geschleift wurde. Diese historische Datierung passt gut zu den archäologischen Befunden, welche die Anlage aufgrund der Beschaffenheit der Ringmauer sowie in Synergie der Funde mit den vergleichbaren Keramiken und Eisenteilen vom „Alten Schloss“ in Kleinwallstadt ebenfalls in die Mitte des 13. Jahrhunderts verweisen. Nicht zuletzt ergeben dann auch die massiven Brandspuren über den Fundamenten der systematisch niedergelegten Ringmauer einen Sinn. Wenn wir also annehmen, dass es sich bei der Anlage auf dem Gräfenberg um die Burg Landesehre handelt, kann die Vermutung Theodor Rufs, wonach die Burg noch nach 1261 genutzt wurde, somit archäologisch widerlegt werden.

Zwar fehlt ein eindeutiger Beweis dafür, dass wir es bei der Anlage auf dem Gräfenberg mit der Burg Landesehre zu tun haben, dennoch erscheint eine Zuweisung anhand der vorliegenden Indizien für gerechtfertigt. Interessant sind diese Ergebnisse für die Deutung der nur wenige Kilometer nördlich des Gräfenbergs liegenden Burgstelle auf dem Klosterberg, ebenfalls auf der Gemarkung von Hösbach-Rottenberg. In Parallelen zu vergleichbaren Anlagen bei der Burg Wildenstein bei Eschau und bei der Burg Rannenberg bei Alzenau dürfte die Anlage dort in der Mite des 13. Jahrhunderts eine Gegenburg in Form der Landesehre (?) erhalten haben.17 Die Zeitfolge ergibt sich schon alleine daraus, dass die Anlage auf dem Klosterberg nach Ausweis der dort gefundenen Keramik bereits lange vor Errichtung des Verteidigungswerks auf dem Gräfenberg dort gestanden hat.


Harald Rosmanitz, Partenstein 2015


  1. Albert Klein, Studien zur Territorienbildung am Unteren Main. Grundlagen und Anfänge des Mainzer Besitzes im Spessart, Würzburg 1938, S. 86.
  2. Claus Cramer, Landeshoheit und Wildbann im Spessart, in: Aschaffenburger Jahrbuch für Geschichte, Landeskunde und Kunst des Untermaingebietes 1 (1952), S. 93.
  3. Günter Christ, Aschaffenburg. Grundzüge der Verwaltung des Mainzer Oberstifts und des Dalbergstaates, München 1963 (Historischer Atlas von Bayern, Teil Franken, Reihe 1, Heft 12) , S. 24 und S. 50.
  4. Ernst Pfahler, Die Burganlage auf dem Gräfenberg, in: Rottenberg. Geschichte eines Dorfes im Vorspessart, hg. von Ernst Pfahler, Rottenberg 1978, S. 37.
  5. Theodor Ruf, Die Grafen von Rieneck. Genealogie und Territorienbildung I. Genealogie 1085 bis 1559 und Epochen der Territorienbildung, Würzburg 1984 (Mainfränkische Studien 32/1), S. 155. Dies beruht auf einer Sichtung von Fundmaterial, welche sich ursprünglich im Besitz von Ernst Pfahler befand und heute im „Alten Rathaus“ in Hösbach aufbewahrt wird. Nach den Grabungen von 2007 und einer Korrelation mit neuerem Fundmaterial vom Klosterberg ist festzuhalten, dass die Zuweisung des Altmaterials zu Gräfenberg bzw. Klosterberg in dieser Form nicht mehr haltbar ist. Die umfangreichen Grabungen 2007 konnten eindeutig belegen, dass die Burg nach 1261 niedergelegt und nie wieder besiedelt wurde.
  6. Ruf I 1984, S. 128-152; Theodor Ruf, Die Grafen von Rieneck. Genealogie und Territorienbildung II. Herkunftstheorien und Systematik der Territorienbildung, Würzburg 1984 (Mainfränkische Studien 32/1) , S. 126-134.
  7. Ruf II 1984, S. 172-182. Die bisherigen Untersuchungen zur „Mole“ in Heimbuchenthal verlinken zeigen, dass der Rohstoff Eisen in der Region im Hochmittelalter eine größere Bedeutung spielte als bisher angenommen.
  8. Ruf II 1984, S. 150-153.
  9. Ruf II 1984, S. 128-130.
  10.  Staatsarchiv Würzburg, Mainzer Urkunde Nr. 118; Valentin Ferdinand de Gudenus: Codex diplomaticus anecdotorum, S.674, Nr.295; Ruf I 1984, S.156.
  11. Kemethmüller 2007, S. 38f.
  12. „[…] quod ipsi Comites destruxerunt Landesehre […]“, Staatsarchiv Würzburg, Mainzer Urkunde Nr. 123; Valentin Ferdinand de Gudenus: Codex diplomaticus anecdotorum, S.682, Nr.301; Ruf 1984a, S.134ff.
  13. „[…] apud Aschaffenburg construxerant novum Castrum […]“, Staatsarchiv Würzburg, Mainzer Urkunde Nr. 123; Valentin Ferdinand de Gudenus: Codex diplomaticus anecdotorum, S.682, Nr.301; Ruf 1984a, S.134ff.
  14. Lorenz Kemethmüller, Burgen als Manifestation der Herrschaftsansprüche im Rahmen des hochmittelalterlichen Territorienaufbaus im Spessart. Archivbestände, archäologische Befunde und historische Interpretationen, Zulassungsarbeit am Lehrstuhl für fränkische Landesgeschichte an der Universität Würzburg, Würzburg 2007 , S. 38f.
  15. Lorenz Kemethmüller, Burgen als Manifestation der Herrschaftsansprüche im Rahmen des hochmittelalterlichen Territorienaufbaus im Spessart. Archivbestände, archäologische Befunde und historische Interpretationen, Zulassungsarbeit am Lehrstuhl für fränkische Landesgeschichte an der Universität Würzburg, Würzburg 2007 , S. 38f.
  16. Brief Hock an Bezirksamt Alzenau vom 20.12.1928, Staatsarchiv Würzburg, Landratsamt Alzenau 1704, Akten betr. Ausgrabung – Burgstall auf dem Gräfenberg bei Rottenberg 1905ff., 1130/324.
  17. Archäologische Aufschlüsse zum Klosterberg liegen bislang nur in Form undokumentierter Eingriffe in den 1980er und 1990er Jahren vor. Eine genauere Erschließung der dortigen Stratigrafie ist zur endgültigen Funktionsbeschreibung der Burg auf dem Gräfenberg unerlässlich.