Wunschtraum und Wirklichkeit

Die Ketzelburg auf alten Karten und Bildern*
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von Emil Albert und Dieter Hock

Kartenblatt – Hessenthal Nr. 86 der Bayerischen Uraufnahme zur Landesvermessung. Auf der vorliegenden Karte ist die Ketzelburg bezeichnet und als Burgstall eingetragen. Karte: Bayerische VermessungsverwaltungWer hofft die Ketzelburg auf einem alten Gemälde, einem historischen Stich oder auf einem aus der Anfangszeit der Fotografie stammenden Bild zu finden wird vergeblich suchen. Nirgends ist ein Bild der im Volksmund „Schloßknickel“ genannten Ketzelburg vorhanden. Wir müssen uns bei der Frage, wie die Ketzelburg denn nun wirklich ausgesehen hat, ganz auf unsere Fantasie und auf die Rekonstruktionsmöglichkeiten der Archäologie verlassen. Natürlich wird uns auch der Blick auf vergleichbare Objekte die in Wort und Bild beschrieben wurden und die wir bis zu einem gewissen Grad übernehmen können, weiter bringen1.

Auch alte Landkarten, in denen man bisweilen markante Punkte und Gebäude eingezeichnet findet, fallen bei der Ketzelburg als Forschungsquelle aus. In der ersten bekannten Karte des Spessarts, der sogenannten „Pfinzingkarte“ von 1594 ist der Burgstall bei Haibach nicht verzeichnet2. Die mustergültige und in vielen Bereichen bis zum heutigen Tage aktuelle Karte zeigt den Spessart en detail. Autor war der Nürnberger Ratsherr und Kaufmann Paul Pfinzing (1554–1599), ein allgemein hoch geschätzter Landvermesser und Kartograph. Sein 58 Seiten starker Pfinzing-Atlas dokumentiert den hoheitlichen Anspruch des Territoriums der Stadt Nürnberg. Die Spessartkarte befindet sich auf Seite 41. Sie ist bislang die älteste überlieferte Übersichtskarte dieses Mittelgebirges.

Aschaffenburg mit seiner Umgegend. Kolorierte Lithographie (Auszug aus einer Generalstabskarte von 1839) im Maßstab 1:25000. Karte: Bayerische VermessungsverwaltungDie Spessartkarte wurde am 1. August 1594 fertiggestellt. Pfinzing war allerdings nicht der ursprüngliche Schöpfer der Spessartkarte. Am 31. August 1562 wurde der Nürnberger Jörg Nöttelein vom Nürnberger Rat nach Mainz zum Erzbischof Daniel Brendel von Homburg entsandt: Er erhielt den Auftrag, den Spessart zu vermessen und kartographisch aufzunehmen. Dies war nötig geworden, da, als 1559 das Geschlecht zu Rieneck ausstarb, das Lehen an das Erzstift Mainz zurückfiel.

Um die geplante Neuordnung des Waldgebietes durchführen zu können, die aufgrund intensiver Waldnutzung durch das große Bevölkerungswachstum in diesem Gebiet nötig war, wurde eine genaue Bestandsaufnahme unumgänglich. Aus diesem Grund verbrachte Nöttelein 1562 und 1563 mindestens neun Monate im Spessart. Schon allein an dieser langen Arbeitszeit lassen sich die Gründlichkeit und der Umfang dieser kartographischen Arbeit erahnen. Nötteleins in der Art einer Inselkarte gefertigte Karte mit ihren 3,0 x 2,5 m war raumgreifend. Sie gilt heute als verschollen. Die Pfinzingkarte übernahm sie in Kopie. Ein Fehlen der Ketzelburg auf dieser kartographischen Meisterleistung lässt nur einen Schluss zu: Die Örtlichkeit hatte zum Zeitpunkt der Kartierung durch Jörg Nöttelein ihre wirtschaftliche oder topographische Bedeutung vollständig verloren.

Auch alle anderen bekannten Spessartkarten geben uns bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts keinen Hinweis auf die Burgstelle bei Haibach. Erst mit der systematischen Kartierung und Vermessung des neu entstandenen Königreichs Bayern, zu dem Haibach ab 1814 gehörte, wird die Ketzelburg als eingetragener Burgstall greifbar. Der gut durchorganisierte Bayerische Staat brauchte für seine Verwaltung und sein Militär genaue Planunterlagen. So verwundert es nicht, dass die Ketzelburg erstmalig auf der als Grundlage für die Landvermessung dienenden Uraufnahmekarte von 18323 und als nächstes auf einer Generalstabskarte von 18394 erkennbar ist. Generalstabskarten haben von je her den Vorteil, möglichst jedes Detail zu enthalten und sind somit eine Fundgrube allerersten Ranges für Historiker aber auch für andere Wissenschaftler wir Biologen, oder Geologen. Auf der vorliegenden Karte ist die Ketzelburg zwar nicht namentlich bezeichnet, jedoch als Geländedenkmal bzw. Burgstall eingezeichnet und erkennbar. Sehr schön ist zu erkennen, wie weit die Bebauung des damals noch sehr kleinen Dorfes Haibach von der Ketzelburg, aber auch von der Straße nach Würzburg entfernt war. In der Folgezeit häufen sich die Eintragungen der offensichtlich damals schon richtig als Burgstall erkannten Ketzelburg5.

Als man sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts näher mit der Heimat und Ortsgeschichte zu befassen begann, stand natürlich auch die Ketzelburg im Interesse der damaligen Heimatforscher. Erste Beschreibungen des Burgstalls Ketzelburg stammen vom Aschaffenburger Bürgermeister Adalbert von Herrlein6 und von dem Lokalhistoriker Josef Kittel7.

Die Legende des Junkers von der Ketzelburg. Kolorierte Federzeichnung von Wendelin Großmann für das Gasthaus „Zur Krone“ in Haibach aus dem Jahre 1946.In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg 1914/1918 machten sich Bürger wie der Haibacher Heimatdichter August Albert (1870–1946) oder der Lehrer Emil Feser Gedanken über die Ketzelburg, die Ihnen natürlich aus den Sagen und Erzählungen bekannt war. So erfuhr die Bevölkerung, dass auf dem Schloßknickel einmal eine „Ritterburg“ gestanden hätte. Das beflügelte die Fantasie der Bürger und sie machten sich Ihr eigenes Bild von dieser Burg, immer in Verbindung mit den um 1890 bzw. 1892 niedergeschriebenen Sagen von den drei Kreuzen und dem eisernen Ring mit dem Kessel8.

So ließen denn auch einige Heimatmaler ihrer Fantasie freien Lauf und entwarfen ein Bild der Ketzelburg nach Ihren Vorstellungen. Freilich sind diese Bilder weit entfernt von der Wirklichkeit und entsprechen eher den Wunschvorstellungen der Maler, die von den Ritterburgendarstellungen der deutschen Spätromantik geprägt waren.

Besonders anschaulich wird dies bei der Betrachtung der kolorierten Federzeichnung zur Legende des Junkers von der Ketzelburg von Wendelin Großmann (1894–1969)9. Der aus einer Haibacher Familie stammende Aschaffenburger Heimatmaler illustrierte unter anderem das im Jahre 1948 erschienene Standartwerk „Spessart-Sagen“.

Der Junker von Heydebach begegnet unterhalb der Ketzelburg seiner mit der Sichel mähenden Liebschaft Gertrud. Im Hintergrund ist deren Freundin Maria zu sehen. Die Ketzelburg wird als „ideale“ Ritterburg wiedergegeben, eben so, wie man sich eine solche Burg in der Spätromantik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorstellte. Umgeben von einer zinnenbekränzten Ringmauer, mit Türmen und einem stattlichen Pallas erhebt sich ein mächtiger Bergfried, der mit seinen vier Erkern stark an den Bergfried im Aschaffenburger Schloss Johannisburg erinnert. Details wie der liebevoll angefügte Toilettenerker verleihen der architektonischen Fiktion zusätzliche Glaubwürdigkeit. Allerdings passt eine Burg, wie sie Wendelin Großmann gemalt hat, allenfalls in die Zeit um 1400, jedoch nicht ins 11. oder 12. Jahrhundert. Dass der Maler seine Burgstelle in einen dunklen Nadelwald stellt, ist gleich in zweifacher Hinsicht wirklichkeitsfremd. Einerseits war das Burgumfeld schon alleine aus wehrtechnischen Gründen unbewaldet und andererseits dominieren in dem Wald, in dem die Ketzelburg liegt, bis heute die Laubbäume. Der Fantasie des Malers entspringen auch die im Vordergrund agierenden Personen. Der Junker hoch zu Ross in einer barocken Jägertracht scheint nach unserem heutigen Verständnis fehl am Platz, datieren die Geschehnisse um die Ketzelburg doch vierhundert Jahre früher. Die beiden Mädchen hätte man in ihrer Kleidung durchaus noch zur Entstehungszeit des Bildes nach dem Zweiten Weltkrieg antreffen können. Akkurat gemähte Wiesen, saubere, breite Wege und die gepflegte, wehrhafte Burganlage, die in allem unseren Klischees von einer „ordentlichen“ Ritterburg entsprechen, passen das ganze, an sich hoch dramatische Geschehen dem Bedürfnis des Auftraggebers nach Ruhe und Ordnung in einem kriegszerrütteten Nachkriegsdeutschland an.

Auch der Ritter mit dem schönen, aber höchst fantasievollen Namen „Reiner von Heydebach“ kann in vielerlei Hinsicht dem Reich der Fantasie zugeordnet werden. Ein Wandbild, das der Glattbacher Maler Alois Bergmann-Franken (1897–1965) im Jahre 1950 für den Sitzungssaal des Haibacher Rathauses schuf10, zeigt im Vordergrund den so bezeichneten Ritter in voller Rüstung. Er hält als zum Gestech gerüsteter Ritter in seiner Linken eine Turnierlanze. Das Visier seines Plattenpanzer, der in dieser Form am ehesten dem 15. Jahrhundert zugeschrieben werden kann11, ist hochgeklappt. Im Hintergrund zeichnet sich die Ketzelburg mit Bergfried, Pallas und Ringmauer ab. Die Anlage wirkt im Vergleich mit der Burgenphantasie von Wendelin Großmann schon wesentlich bescheidener12. Das Wandbild ist ebenso wie die zuvor beschriebene Federzeichnung stark von Klischees über Ritter und Burgen geprägt. Man sah den Ritter und die Burg völlig undifferenziert. Es war dabei erst einmal nebensächlich, in welchem Jahrhundert er lebte.

Im Graben der Ketzelburg. Fotografie um 1930 (Haibach, Privatbesitz)Als im Vorfeld zum groß gefeiertem Jubiläumsjahr 1987 auch diverse Werbemaßnahmen der Gemeinde beschlossen wurden, durfte auch der Ritter Reiner von Heydebach und seine Burg nicht fehlen. Die dafür konzipierte graphische Darstellung zeigt deutliche Übereinstimmungen mit dem Fresko im Sitzungssaal des Haibacher Rathauses. Lediglich das Gemeindewappen im Schild wurde ihm neu beigegeben. Im Hintergrund ist die Ketzelburg als zinnenbekrönte Burgmauer angedeutet. Die Werbefigur wurde unter anderem auf Prospekten, Bierkrügen und Autoaufklebern verwendet. Beim großen Jubiläumsfestzug am 5. Juli 1987 war der Ritter selbstverständlich mit dabei.

Die ersten bekannten Fotografien von der Ketzelburg bzw. deren Resten entstanden relativ spät. Die beiden, um 1930 entstandene Fotos eines unbekannten Fotografen zeigt die Grabensituation, wie sie im Wesentlichen auch heute noch existiert13. Bis heute sind keine weiteren Fotos bekannt, die uns über das Werden des Burgstalls und seine Nutzung durch die Bevölkerung im 20. Jahrhundert Auskunft geben könnten. Dies hängt sicher nicht unwesentlich damit zusammen, dass sich der baumbestandene Burghügel mit seinem Graben kaum als dankbares Fotomotiv eignete. Zumindest ein paar Mauerreste hätten schon noch sichtbar sein müssen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es keine bildlichen Überlieferungen der Ketzelburg oder des Burghügels gibt. Die Quellenlage ist hier – wie auch bei den archivalischen Quellen – äußerst dürftig. Am nahesten an der Wirklichkeit dürften wohl die nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten auf Basis der Ausgrabungen 2004/05 erfolgten Rekonstruktionszeichnungen von Christian Mayer zu Ermgassen sein. Sie vermitteln uns ein realistisches Bild einer kleinen Burganlage des zwölften Jahrhunderts, ohne dabei ständig auf der Suche nach dem Ritter Reiner von Heydebach die Klischees des tugendhaften Ritters aufzuwärmen.

* Überarbeitete Fassung eines Artikels, veröffentlicht in Harald Rosmanitz, Die Ketzelburg in Haibach. Eine archäologisch-historische Spurensuche (Neustadt a. d. Aisch 2006), S. 23-26

  1. Vgl. Philipp R. Hömberg, Burgen des frühen Mittelalters in Westfalen. In: Hartmut Polenz (Hrsg.), Hinter Schloss und Riegel. Burgen und Befestigungen in Westfalen (Bönen 1997), 120–159; Joachim Zeune, Salierzeitliche Burgen in Bayern. In: Horst Wolfgang Böhme (Hrdg.), Burgen der Salierzeit. Teil 2: In den südlichen Landschaften des Reiches (Sigmaringen 1991),177–233. Ein Beispiel dafür sind die Wohntürme, die auf dem vor 1082 in Südengland entstandenen Teppich von Bayeux dargestellt sind (David W. Wilson, Der Teppich von Bayeux (London 1985) , 213–217).
  2. Peter Fleischmann, Der Pfinzing-Atlas von 1594 (München 1994), 64f. Vgl. dazu auch Christine Engler, Die Spessartkarte des Paul Pfinzing von 1594 – Aufbereitet als Forschungsgrundlage. Masch. Facharbeit (Aschaffenburg 2004), 3–6; Gerhard Kampfmann, 1562 hat der Nürnberger Jörg Nöttelein den Spessart vermessen und gezeichnet. Es entstand die Vorlage für die älteste Spessartkarte. Spessart. Monatsschrift des Spessartbundes. Zeitschrift für Wandern, Heimatgeschichte und Naturwissen, Heft 9, 2000, 6–14. Ein Forschungsschwerpunkt des Archäologischen Spessartprojekts ist es, mit Hilfe des GIS die zahlreichen Informationen der Pfinzingkarte zu interpretieren und vor Ort mit dem heutigen Bestand abzugleichen.
  3. Kartenblatt – Hessenthal Nr. 86 der Bayerischen Uraufnahme zur Landesvermessung. Aufgenommen 1832/33, revidiert 1844. Auf der vorliegenden Karte ist der Burgstall als „Ketzelburg“ bezeichnet. Es ist der bislang älteste bekannte Eintrag des Bodendenkmals in einer Landkarte.
  4. Aschaffenburg mit seiner Umgegend. Kolorierte Lithographie (Auszug aus einer Generalstabskarte von 1839) im Maßstab 1:25000 (Bilderchronik Alt-Aschaffenburg, Taf. 48).
  5. Zu erwähnen wäre in diesem Zusammenhang eine um 1839 veröffentlichte Lithographie von L. Zertahelly, München. In der Karte „Umgegend Aschaffenburg“ ist die Ketzelburg als Burgstall eingezeichnet, ohne sie jedoch namentlich anzuführen. Die Karte findet sich im 1840 erschienenen Buch „Skizze der geognostischen Verhältnisse der Umgegend Aschaffenburgs“ von Martin Balduin Kittel ( Martin Balduin Kittel, Skizze der geognostischen Verhältnisse der Umgegend Aschaffenburgs. Zweite und letzte Abtheilung. Programm des königlichen bayerischen Lyceums zu Aschaffenburg für 1839 und 1840 (Aschaffenburg 1840)) und in der 1843 erschienenen „Geschichte und Beschreibung von Aschaffenburg und dem Spessart“ von Stephan Behlen und Joseph Merkel (Stephan Behlen u. Joseph Merkel, Geschichte und Beschreibung von Aschaffenburg und dem Spessart (Aschaffenburg 1843)).
  6. Adalbert von Herrlein, Aschaffenburg und seine Umgegend. Ein Handbuch für Fremde (Aschaffenburg 1857), 94.
  7. Josef Kittel, Die Geschichte der Herren von Reigersberg (Würzburg 1891), 56.
  8. Franz Großmann, Die Sagen von Haibach. Ausgabe anläßlich des 30jähr. Gründungsfestes des Spessartvereins Haibach (Haibach 1949), 3–6.
  9. Das Bild befindet sich im Besitz der Familie Hermann Hock in Seligenstadt, dem vormaliger Besitzer des 2001 abgerissenen Traditionslokals „Zur Krone“, im Volksmund nur „Hock“ genannt.
  10. Renate Welsch, Haibach im Wandel der Zeit – Ortsbild und örtliches Leben (Haibach 1987), 358. Das Bild ist Teil eines fünf Bilder umfassenden Auftrags, den der weit über die Grenzen seiner Heimat bekannte Künstler in den Jahren 1948–1950 für die Gemeinde Haibach ausführte. Er umfasst die Ausmalung des Sitzungssaales, des Trauzimmers und des Leichenhauses.
  11. Giogio Dondi, Der Krieger ist asymetrisch. In: Daria Lanzardo (Hg.), Ritter-Rüstungen. Der eiserne Gast – ein mittelalterliches Phänomen (München 1990), 161–173; Liliane u. Fred Funcken, Rüstungen und Kriegsgerät im Mittelalter (Tournai 1977), 78–115; Andreas Schlunk u. Robert Giersch, Die Ritter. Geschichte – Kultur – Alltagsleben (Stuttgart 2003), 46-48.
  12. In das Bild integriert sind auch die drei Kreuze als Wahrzeichen von Haibach. Sie verweisen auf die Sage von den drei Kreuzen (vgl. Großmann 1949, 3–5; Welsch 1987, 359–361).
  13. Sammlung Günter Stahl, Dörrmorsbach. Ein ähnliches Foto erschien 1937 in der Zeitschrift Mainfranken (Mainfranken. Illustrierte Monatsschrift für Spessart, Odenwald, Rhön und Steigerwald 7/1936, 26). Die Anlage wird dort von Lehrer Emil Feser als „Keltisch-Germanischer Ringwall auf dem Schloßknickel“ angesprochen.