Bescheidener Luxus

eine Bodenfliese von der Ketzelburg*
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von Harald Rosmanitz

Im 11. Jahrhundert griff man in Deutschland die seit der Römerzeit in Vergessenheit geratene Tradition wieder auf, Fußböden mit Bodenfliesen zu belegen. Ursache dafür dürfte der enorme Aufschwung des Kirchenbaus in jener Zeit sein. Mit zunehmender Knappheit der begehrten und teuren, oft aus antiken Bauwerken zweitverwendeten Natursteinfliesen, erwies sich in den großen Kirchenräumen der Bodenbelag aus keramischen Bodenfliesen geradezu als ideal, waren sie doch vergleichsweise kostengünstig und in großer Stückzahl herzustellen. Zudem ließen sich mit dem wartungsfreundlichen Bodenbelag große Flächen auskleiden. Die meist quadratischen Fliesen wurden im Schachbrettmuster verlegt. Verschieden geformte und unterschiedlich eingefärbte Fliesen wurden zu kunstvollen, bunten Teppichen zusammengefügt. Ab der Mitte des 12. Jahrhunderts versah man die einzelnen Fliesen noch zusätzlich mit kleinteiligen Ornamenten. Dies war eine bewusste Abkehr von der Nachahmung teurer Schmuckfußböden aus Naturstein. Spätestens im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts nahmen sich Klosterwerkstätten mit speziellen Öfen und vielfältigen Dekoren der Fertigung ornamentierter Bodenfliesen an. Der keramische Bodenbelag fand auch beim Adel Gefallen. Neben kostbaren Wandbehängen zierten prächtige Bodenfliesen die Repräsentationsräume in Burgen, Rats- und Bürgerhäusern1.

Ein gefliester Boden war im ausgehenden 12. Jahrhundert ein großer Luxus. Mit solch einer Fliese, wie sie auf der Ketzelburg gefunden wurde, war möglicherweise der Fußboden einer kleinen Kapelle im Wohnturm ausgekleidet. Deutlich erkennt man die sorgfältige Glättung der unverzierten Oberfläche.

Auch auf der Ketzelburg in Haibach konnte diese Mode für das ausgehende 12. Jahrhundert mit Hilfe einer Fliese belegt werden. Sie lag in der Aufschüttung der Torrampe und ist demnach der älteren Burgperiode zuzurechnen. Die ursprünglich vermutlich quadratische Fliese ist an allen vier Seiten beschlagen2. Sie besteht aus vergleichsweise feinem, rötlich brennendem Ton mit Glimmeranteilen. Aus einem solchen Ton lassen sich auch mühelos Gefäße fertigen.

Eine bedeutende Rolle spielen Bodenfliesen in Klöstern. Wie hier in der Zisterzienserabtei von Fontfroide in der Languedoc waren nicht nur die Kirchen selbst sondern auch der Schlafsaal gefliest.Die Herstellung der Bodenfliese entspricht weitgehend der Produktion von Dachziegeln. Durch einen Zusatz von Magerungsmitteln in Form von Sanden verschiedener Körnung wurde die Schwindung des Tons verringert und die Festigkeit des Scherbens erhöht. Nach monatelanger Aufbereitung wurde der Ton nochmals durchgewalkt, um ihn von sämtlichen Lufteinschlüssen zu befreien. Danach wurde er in einen vorbereiteten Holzrahmen eingeknetet, wobei später häufig ein Tuch über die Form gelegt wurde. Üblicherweise wurde dann die Oberseite des Rohlings sorgfältig geglättet und anschließend konnten noch Verzierungen angebracht werden. Bei der Herstellung jüngerer Bodenfliesen streute man das Innere des Holzrahmens mit Quarzsand aus, der an der Unterseite der Bodenfliese haften blieb. So konnte der Tonrohling leichter vom Untergrund abgenommen werden. Damit legte man zugleich für die spätere Verlegung eindeutig die Ober- und Unterseite fest. Bei der Haibacher Bodenfliese wurde der Ton ohne die Hilfe eines Formentuches in den Rahmen gedrückt3. Dabei hinterließ der Töpfer deutlich sichtbare Fingerabdrücke. Nach dem Ablösen drehte er die Platte um und glättete die Oberfläche der Gegenseite mit einem feuchten Lappen. Im Gegensatz zu den meisten bekannten Bodenfliesen wurde hier also die Tonplatte gedreht und die in der Form unten liegende Seite als Oberseite der Fliese ausgearbeitet. Nachdem die Fliese getrocknet war, wurde sie an den Seitenkanten schräg unterschnitten. Anschließend wurde das Stück bei einer Temperatur von etwa 750–950° C im Töpferofen gebrannt.

Die Bodenfliese von der Ketzelburg stellt bislang ein Unikat dar. Sie erlaubt uns leider keine Rückschlüsse darauf, an welcher Stelle sie in der Burg eingebaut war. Da nach Eleonore Landgraf eine Ausgestaltung profaner Bauten mit gefliesten Böden zur Erbauungszeit der Ketzelburg sehr ungewöhnlich wäre, dürfte der Bodenbelag für eine Kapelle sprechen, die im Wohnturm integrierte war.

Besonders interessant ist die gesicherte zeitliche Einordnung des Fundstücks von der Ketzelburg. Anhand der Stratigraphie können wir davon ausgehen, dass die Fliese noch in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in Gebrauch war. Damit ist sie deutlich älter als die Mehrzahl vergleichbarer Fundstücke vom Untermain und Spessart. Sie entstand vor dem Aufblühen einer vielfältigen Fliesenproduktion, deren Anregung von Frankreich ausging. Bald schon versah man die glatten Fliesen mit aufwendigen Mustern. Sehr rasch entstanden auch städtische Werkstätten, die zu erst im Auftrag der Kirche und später auch in eigner Regie Fliesen prägten.

Die bis ins 20. Jahrhundert genutzten hochwertigen Tonvorkommen in Aschaffenburg4 legen nahe, dass der Burgherr von der Ketzelburg nicht nur sein Geschirr, sondern auch seine Bodenfliesen aus der nahe gelegenen Stadt bezog. Es ist unwahrscheinlich, dass sich ein Töpfer dort bereits am Ende des 12. Jahrhunderts auf die Fertigung von Bodenfliesen spezialisiert hatte. Andererseits sprechen die Vergleiche aus dem Kreis Offenbach dafür, dass ein solch qualifizierter Handwerker zumindest in der Region Rodgau/Vorspessart tätig war. Schwerpunkt bilden dabei Klöster, Kirchen und Burgen. Aber auch aus mittelalterlichen Innenstädten sind entsprechende Stücke bekannt5.

Im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts kamen ornamentierte Bodenfliesen in Mode. Das Fragment vom Theaterplatz in Aschaffenburg zeigt, dass man damit nun nicht mehr nur Kirchen und Klöster, sondern auch die Repräsentationsräume von Adeligen und betuchten Bürgern ausstattete.

* Überarbeitete Fassung eines Artikels, veröffentlicht in Harald Rosmanitz, Die Ketzelburg in Haibach. Eine archäologisch-historische Spurensuche (Neustadt a. d. Aisch 2006), S. 93-94

  1. Alfons de Belie, Middeleeuwse Vloeren in confrontatie met schilderijen van Vlaamse Primitieven (Gent 1985) , 5; Elizabeth Eames, English Medieval Tiles (London 1985), 4–11; Elizabeth Eames, Medieval Craftsmen. English Tilers (London 1992), 4–17; Claudia Holze-Thier, Die Pfarrkirche St. Johannes Baptist zu Attendorn. Die Ausgrabungen von 1974. Denkmalpflege und Forschungen in Westfalen 36 (Essen 1999), 66–70; Hiltrud Kier, Der mittelalterliche Schmuckfußboden unter besonderer Berücksichtigung des Rheinlands. Kunstdenkmäler des Rheinlands 14 (Düsseldorf 1970), 11–14; Eleonore Landgraf, Mittelalterliche Bodenfliesen. In: Bendix Trier (Hg.), Ausgrabungen in Minden. Bürgerliche Sachkultur des Mittelalters und der Neuzeit (Münster 1987), 67f; Eleonore Landgraf, Ornamentierte Bodenfliesen des Mittelalters in Süd- und Westdeutschland 1150–1550. Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg Bd. 14 (Stuttgart 1993), Bd. 1 89–95; Eleonore Landgraf, Mittelalterliche Bodenfliesen aus Ton. In: Monika Dittmar (Hg.), Fliesen. Die nächsten Verwandten der Ofenkacheln. Schriften des Ofen- und Keramikmuseums Velten, Baustein 7 (Berlin 2002), 8–18, 8; Hans – Werner Peine, Vorwiegend Alltagssachen. Das Fundgut der Grabungen 1988 bis 1991 im Überblick. In: Bendix Trier (Hg.), Ausgrabungen in der Abtei Liesborn (Münster 1993), 179 f. Egon Schallmayer u. Gesine Weber, Mittelalterliche Bodenfliesen aus dem Kreis Offenbach. Studien und Forschungen NF 17 (Offenbach a. M. 2000), 7.
  2. Die Fliese von der Ketzelburg (Taf. 42.5) hat noch eine Breite von 6,7 cm und eine Tiefe von 7,8 cm. Die Tonplatte ist 1,8 cm dick.
  3. Der Einsatz eines Formentuchs ist beispielsweise für die etwa zeitgleichen Bodenfliesen aus Oberroden belegt (Schallmayer/Weber 2002, 11–13).
  4. Gerhard Ermischer, Die Aschaffenburger Hettinger. Die Spätblüte einer Hafnerdynastie am Ende des traditionellen Töpferhandwerks. in: Bärbel Kerkhoff-Hader u. Werner Endres (Hg.), Keramische Produktion zwischen Handwerk und Industrie. Alltag – Souvenir – Technik. Bamberger Beiträge zur Volkskunde 7 (Hildburghausen 1999), 66.
  5. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang beispielsweise auf die Fußbodenfliesen vom Theaterplatz in Aschaffenburg. Bodenfliesen aus dem Spessart – wenn auch durchweg jüngere Stücke – werden in der Arbeit von Eleonore Landgraf für Gelnhausen, Mespelbrunn, Steinau und Wertheim aufgeführt (Landgraf 1993, Verbreitungskarte). Die Belegungsdichte dürfte jedoch weit größer gewesen sein und in etwa der Streuung im benachbarten Kreis Offenbach entsprochen haben (Schallmayer/Weber 2002, 15).